«Wir wollen alle eine schöne Zeit haben, nicht nur der Gast»

Corinne Nusskern – 09. Oktober 2025
Sie sind jung, verstehen Arbeit nicht nur als Pflicht, sondern als Erfüllung, und sie sind bereit, Verantwortung zu tragen: Vor Kurzem haben Mira Luisa Labusch (22) und Flavia Carina Niederer (23) als Doppelspitze die Küchen­leitung im Restaurant Rechberg 1837 in Zürich übernommen. Und sie haben Drive!

Mira Luisa Labusch und Flavia Carina Niederer stehen für die Zukunft. Und für die Werte der Gen Z, die mit der konsequenten Haltung und der kulinarischen Ausrichtung des Restau­rants Rechberg 1837 übereinstimmen. Die zwei Köchinnen strahlen eine starke Präsenz aus, haben eine unbändige Lust auf neue Ideen und kommunizieren klar, wo sie ihren Freiraum brauchen, wo sie unterstützt werden wollen und was sie vom Rechberg-Gespann Carlos Navar­ro, Alexander Guggenbühl  und Raphael Guggenbühl  erwarten. «Eine gute Basis, um den Weg zusammen zu gehen», so Alexander Guggenbühl.

 

Mira Luisa Labusch und Flavia Carina Niederer, ihr habt vor einem Monat gemeinsam die Küchenleitung von Andi Bolliger übernommen. Was überwiegt: Der Respekt oder die Freude über die Verantwortung für die neue Aufgabe?  
Labusch: Den Andi mit seiner Riesenerfahrung zu ersetzen, davor hatte ich Respekt. Diesen Druck haben aber Alexander, Carlos und Raphael in Gesprächen von uns genommen. Es ist eine Aufgabe, in die man hineinwachsen muss. Carlos steht am Anfang wieder öfters mit uns in der Küche. Wir fühlen uns jeden Tag sicherer, und es ist schön, wie wir allmählich den Rhythmus finden und sehen, wo wir in Zukunft hinsteuern.
Niederer: Neben dem Respekt ist da sehr viel Freude. Die Zusammenarbeit im Team macht Spass, denn es ist ein gutes und zielorientiertes Miteinander.

 

Ihr arbeitet als Doppelspitze zum ersten Mal zusammen. War sofort klar, dass es zwischen euch klappt? 
Labusch: Wir kennen uns von der Berufsschule und haben ganz kurz im Rank zusammengearbeitet. Wir waren optimistisch (beide lachen herzhaft).
Niederer: Das bereitete mir keine Sorgen. Ich sah, wie Alexander, Carlos und Raphael seit ewig als Freunde zusammenarbeiten und dass es funktioniert. Warum sollte es bei uns nicht? 
Labusch: Wir haben im Vorfeld ausgiebig diskutiert, was uns wichtig ist, wie wir uns die Zusammenarbeit vorstellen, wer wo den Fokus legt.

 

Und wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Labusch: Grundentscheide fällen wir im Team. Neben dem Kochen kümmert sich Flavia um die Hygiene und das Administrative, ich zeichne für die Arbeitspläne und die Stundenkon­trolle verantwortlich. Die Ideen zu neuen Gerichten sind von uns, wir sind aber sehr dankbar über Carlos Feedback.  
Niederer:  Er sagt uns klar: Das ist machbar, das ist schwierig. Das ist für uns sehr wertvoll. Mira und ich tauschen uns auch auf den Heimweg aus, wir wohnen beide in Winterthur.
 

Ein Wechsel in der Küchenleitung bringt immer Veränderungen mit sich: Was werdet ihr anders angehen?
Niederer: Es wird sich automatisch etwas verändern, wir sind andere Menschen und gehen Dinge anders an. Der Rechberg 1837 ist ein lebendiger Ort, und er wird mit der Zeit unsere Prägung erhalten. Man muss sich mit jedem Produkt auseinandersetzen, wir verwenden keine Fertigprodukte, Saucenbinder oder Backpulver, genau das ist der Reiz, hier zu arbeiten.
Labusch: Wir suchen keine konzeptionelle Veränderung, da stehen wir voll dahinter. Andi hat die Küche in diesem eng gesteckten Rahmen geprägt und dem Rechberg seine Färbung gegeben. Wir gehen die Kreativprozesse ähnlich an. Es wird im Rechberg wohl kaum Knall auf Fall argentinische Steaks geben!

 

Trotz einiger Jahre bemerkenswerter Berufserfahrung im Rosa Pulver in Winterthur ZH oder im The Japanese in Andermatt UR: Ihr seid extrem jung. Vorteil oder Nachteil?
Niederer: Als Vorteil sehe ich, dass ich alles auf mich wirken lasse und gerne ausprobiere. Ich bin nicht alteingesessen und denke, etwas müsste so oder so sein und fertig, sondern bin offen für verschiedene Wege. Durch die fehlende Erfahrung gehen wir Dinge anders an, vielleicht ist es ein Generationending, sich kochtechnisch nicht immer strikt an alte Regeln zu halten. Diese Freiheit zu haben, ist grossartig!
Labusch: Das ist genau der Punkt, warum der Austausch mit Carlos so wichtig ist. Was uns fehlt, können wir dank seiner Erfahrung kompensieren. Es ist megacool, dass wir diese Chance so jung bekommen.

 

Müssten aus eurer Sicht vermehrt jüngere Berufsleute das Zepter in der Gastronomie über­nehmen? 
Labusch: Ja, durchaus. Aber es ist auch schön, von erfahrenen Kollegen zu lernen. Doch die Gastronomie hatte vor 50 Jahren einen anderen Ruf, es wurde öfters laut, das soll bei uns niemals vorkommen.
Niederer: Ich kenne eine Menge junger Leute, die mit Elan und neuen Ideen die Gastroszene bereichern würden.

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Vorhang auf für das neue, starke Frauenduo im Rechberg 1837. (Bild: Daniel Winkler)

Woran scheitert es, dass dies nicht passiert?
Labusch: Ein Restaurant zu führen, ist ein Megarisiko. Viele haben Respekt davor.
Niederer: Ich sehe es ähnlich. Doch es würde so manches öffnen und wäre auch konzeptionell mutiger. Viele Betriebe sind diesbezüglich etwas zugeknöpft. Dabei wollen wir alle eine schöne Zeit haben, nicht nur der Gast! Es ist doch schöner, wenn alle Freude an etwas haben.

 

Das kompromisslose Konzept des Rechbergs: Ist dies ausschliesslich freudige Herausforderung oder manchmal auch mühsam?
Labusch: Natürlich ist es eine Herausforderung. Es schränkt ganz klar ein, aber ich finde es schön und stehe voll dahinter.
Niederer: Es setzt auch Kreativität frei, denn ich kann ganz andere Sachen produzieren und ausprobieren. Letzte Woche hatten wir die Idee, Gelatine selbst zu machen. In einem anderen Betrieb wäre ich nie auf diese Idee gekommen.

 

Das braucht Kreativität und Zeit. Merkt ihr manchmal plötzlich, oh, dieses Produkt geht nicht, da zu prozessiert? 
Labusch: Es passiert schon mal, meist bei Desserts …
Niederer: Ich habe gerade eine schwierige Phase mit Desserts. Ich mache sie megagern, doch wenn es nicht funktioniert, bin ich etwas gestresst. Ich mags lieber, wenn es sofort funktioniert. (lacht) Dann macht man es halt nochmals und nochmals.

 

Ihr verwendet ausschliesslich Produkte aus der Schweiz. Das Konzept schliesst Produkte wie Kaffee, Schokolade, importierte oder industrielle Lebensmittel aus. Und bis auf Wein, Mehl und Käse und Öl macht ihr alles selbst im Haus? 
Niederer: Wir backen Brot, stellen Frischkäse wie Mascarpo­ne oder Sauerrahm selbst her, wir machen ein, räuchern, fermentieren und, und, und. So können wir im Winter Produkte im Menü integrieren, die nicht saisonal sind. 
Labusch: Wir lernen permanent dazu, lesen uns ein, probieren aus. Kürzlich haben wir Koji auf Gerste angesetzt. Wir haben viele Ideen. Den Raum und die Zeit dazu gibt man uns hier.
Niederer: Ich bin mehr die, die ausprobiert, und Mira mehr jene, die studiert. (beide lachen)

 

Die Saison sowie die Bauern und Produzenten geben euch eigentlich das Grundgerüst für die Menügestaltung vor. 
Labusch: Das ist unser Alltag, daran orientieren wir uns. Wir pflegen einen engen Austausch mit unseren Produzenten wie Slow­grow in Mönchaltdorf ZH, dem Gut Rheinau ZH oder mit Heinz Glauser von der Bio-Forellenzucht in Bachs ZH. So steigt nicht der Respekt vor dem Produkt, und wir können vorausplanen, mit welchen Produkten wir wann arbeiten werden. 
Niederer: Es ist herausfordernd und braucht Freude, aus den aktuellen Produkten Neues und Überraschendes zu kreieren und sich zu überlegen, wo man neue Weg einschlagen kann.

 

Wenn man euch welches Produkt wegnehmen würde, würdet ihr den Beruf sofort an den Nagel hängen?
Labusch:  Butter macht alles gut und besser! Ich bin ein Fan.
Niederer: Mir kann man einiges wegnehmen. Es gibt so viel, mit dem man etwas Schönes machen kann. Ausser man würde sagen, nur noch Produkte aus dem Jahr 1837, zudem glutenfrei und vegan – dann gäbe es wohl nur noch Chabis! (lacht) Da sind wir zum Glück nicht. Und es ist selbstverständlich möglich, dass auch Leute mit Allergien bei uns essen können.

 

Die Philosophie des Rechbergs beinhaltet Themen wie Klimabewusstsein oder soziale Verantwortung. Wie einfach oder schwierig lassen sich diese im Alltag integrieren?
Labusch: Das sollte heutzutage selbstverständlich sein, diese Werte sind elementar! Sie sind mit ein Grund, weshalb wir hier die Küchenleitung übernommen haben. Das gesamte Team lebt diese Philosophie. 
Niederer: Darüber muss ich nicht mal nachdenken. Auch dass man so wenig wie möglich wegwirft. Kartoffelschalen frittieren wir, servieren sie als Chips oder verarbeiten sie zu Miso. Gemüseabschnitte, die nicht im Fond enden, kann man trocknen, pulverisieren und Salz beimischen – das schmeckt wie Aromat, nur besser!

Gerade beim Essen wäre es einfach anzusetzen. Die Ernährung verursacht gut 30 Prozent der Umweltbelastung, vor allem tierische Produkte. Wie spärlich geht ihr mit diesen um?
Niederer: Mit ganz viel Respekt. Wenn wir Hasen ausnehmen, verwenden wir alles und nicht nur die besten Stücke.
Labusch: Genau. Aktuell haben wir eine Hasenroulade, aus dem Geschmorten fertigen wir frittierte Nuggets und aus den Knochen einen Jus. Die Innereien eignen sich wunderbar für eine Pâté. In unserem Siebengangmenü basiert nur ein Gang auf Fleisch und einer auf Fisch, alle anderen sind vegetarisch.

 

Seit September 2025 ist das Rechberg 1837 auch über Mittag geöffnet. Und seit April bietet ihr neben Mehrgängern auch à la carté an. Ist dies dem Fakt geschuldet, dass viele Gäste nicht mehr stundenlang sitzen und essen mögen?
Niederer: Auch, aber wir wollten das Rechberg 1837 etwas zugänglicher gestalten. Was wir machen, ist extrem aufwendig und mit Kosten verbunden. Das schafft eine gewisse Exklusivität. Wir wollten den Fächer öffnen, denn es gibt Leute, die nicht über dieses Budget verfügen, aber die Wertschätzung für die Produkte und das Handwerk haben. Der Hauptpreisträger ist die Arbeit, die Stunden und die Liebe, die wir einbringen. Ein Siebengänger ist heute etwas für Geburtstage und andere festliche Anlässe.

 

Oft gehört: Die Gen Z tickt anders. Ist dem so?
Niederer: Wir ticken schon völlig anders, obwohl unsere Chefs jung geblieben sind. Wir verstehen uns sehr gut, und der Austausch und das Netzwerk, das hier vorhanden ist, sind stark, und doch müssen wir uns getrauen, Neues einzubringen. 
Labusch: Die jahrelange Vorarbeit wird von uns weitergeführt und erhält eine neue Dynamik.

 

Gastronomie ist kein Spaziergang. Was treibt euch jeden Tag aufs Neue an?
Niederer: Ich überlege mir das gar nicht, das kommt natürlich. Ich koche, seit ich denken kann, selbst Kochen, ohne Tüten aufzureissen, war bei uns zu Hause immer ein Thema. Ich komme gerne zur Arbeit. Wir essen alle dreimal am Tag. Nahrung ist essenziell und landet in unserem Körper, damit muss man sich doch auseinandersetzen!
Labusch: Es ist ein schöner Beruf, all diese Kreativität, die Platz hat, vor allem hier. Wir haben einfach einen coolen Job.