Das Zurflüh’s Bahnhöfli in Steffisburg BE ist ein generationenübergreifender Familienbetrieb, durch den ein frischer kulinarischer Wind weht, und wo gleichzeitig traditionelle Werte wie Gastfreundschaft und Herzlichkeit gelebt werden. Etwas, das seltener geworden ist. Hanspeter Zurflüh (64) erinnert sich. «Vor 30 Jahren hiess es, so ein Familienbetrieb, das ist doch totgesagt, das bringt doch nichts», erzählt er. «Ich habe mich immer gefragt: Warum? Das war doch immer etwas Gutes.» Und wie! Vor allem im Fall der Familie Zurflüh.
Hanspeter und Christine (61) Zurflüh haben das Bahnhöfli 1989 in dritter Generation übernommen. Sie begannen mit wenig und haben das Restaurant in der Region etabliert. Vor rund zehn Jahren sind ihre Söhne Marco (34) und Sandro (32), beides gelernte Köche wie der Vater, nach diversen Stationen heimgekehrt. Seither arbeiten sie Seite an Seite: Hanspeter und Marco in der Küche, Sandro und die gelernte Hotelfachassistentin Christine an der Front und im Backoffice.
«Zu Beginn wollten wir nicht viel verändern und so weiterfahren wie bisher, auch um die vielen Stammgäste nicht vor den Kopf zu stossen», sagt Sandro. Erst nach und nach haben sie Feinheiten angepasst und ihre Ideen eingebracht, zu denen sie während ihrer Wanderjahre inspiriert wurden. Marco wirkte unter anderem im Palace Gstaad BE und bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein GR, Sandro bei Robert Speth in der Cheesery in Gstaad BE, erst in der Küche, später im Service. Er half einst wegen eines Notfalls im Service aus – hat den Job liebgewonnen und blieb. «Und jetzt passt es umso besser.»
«Aus diesen Erfahrungen haben wir immer wieder Eigenes eingebracht und ausprobiert, um zu sehen, ob es funktioniert», sagt Marco. Die Eltern seien dafür immer offen gewesen. «Man muss sich der Zeit anpassen, ich kann doch nicht Patriarchen-mässig sagen, so gehts, und alles andere ist nichts», sagt Hanspeter mit einem Augenzwinkern. «Es hat auch uns viel gebracht, wir sind froh, dass sie da sind!» Und Christine ergänzt: «So bleiben wir weder stehen, noch werden wir betriebsblind.»
Es braucht vor allem Toleranz und Respekt
Sie haben alle voneinander gelernt. Sandro wurde von Christine in die Geheimnisse ihrer Stammgäste eingeführt und wie man sich an Gästepräferenzen, -allergien und -mödeli erinnert. Dafür hat er neue Serviceabläufe und ein strukturiertes Bonbrett eingeführt. Die Blumen und die Dekoration werden weiterhin Christines Domäne bleiben, es gehört nicht zu Sandros Lieblingsarbeiten. Marco hat von Hanspeter gelernt, wie man kalkuliert und eine Küche führt. Und Hanspeter hat seinen Führungsstil angepasst und nimmt es ruhiger. «Dafür sind etwas mehr Geräte wie ein Paco Jet oder Thermomix dazukommen», sagt er. Marco kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Und Hanspeter fügt an: «Man spürt es nun, wenn sie ausfallen. Die Lips-Maschine hingegen läuft und läuft, obwohl die fast so alt ist wie ich!»
Das alles braucht Toleranz, Respekt und ein Gefühl füreinander. Und das haben sie. Während die Eltern oben im Bahnhöfli leben, wohnen Sandro und Marco zusammen in einer WG in Heimberg BE. Die drei Männer spielen gegeneinander Golf, Mutter Christine geht derweil fotografieren. Oft gehen sie gemeinsam in andere Restaurants essen, um zu sehen, wie es die andern machen. Kürzlich waren sie in der Kronenhalle in Zürich, Marco gönnte sich einen Besuch bei Peter Knogl im Cheval Blanc in Basel, Sandro zog es nach Baiersbronn (D). Sie haben es so gut miteinander, dass sie auch mal zusammen in die Ferien fahren, wie letztes Jahr ins Bolgheri-Gebiet in der Toskana. «Es war eigentlich ein Zufall», sagt Hanspeter fast entschuldigend. Alle lachen. Und die Familie wächst: Sandros Freundin Jennifer Stettler (25, Gewinnerin des Hug Creative Tartelettes Contest 2024, Kategorie Ausgebildete) arbeitet ebenso im Bahnhöfli – in der Patisserie.
Doch, so gern man sich in einer Familie hat: Auch Zurflühs sind sich nicht immer bei allem einig. Dann hocken sie zusammen und diskutieren es aus. Einmal im Jahr ziehen sie sich für ein Familien-Weekend zurück, so wie letztes Jahr ins Kemmeriboden-Bad. Jeder bereitet sich vor, stellt zusammen, was ihn bewegt, wo Schwierigkeiten liegen, wo etwas verändert werden muss. «Erst wird seriös diskutiert, danach essen wir zusammen», führt Hanspeter aus. Am Ergebnis halten sie fest, damit sie in die gleiche Richtung gehen, dies sei auch für ihre 13 Mitarbeitenden (davon 5 Lernende) wichtig. Sie haben viele langjährige Mitarbeitende und wenige Wechsel. «Sie gehören dazu, sie sind für uns wie eine erweiterte Familie», ergänzt Marco. Zurflühs gehen mit dem Personal auch mal für eine Nacht in den Lenkerhof oder sie trinken nach dem Service am Montagabend vor den zwei freien Tagen noch eine Flasche Wein zusammen. «So bekommen wir auch ihre Sorgen mit», erzählt Marco.
Schnelllebigkeit, hoher Butterverbrauch und treue Gäste
Die Familie ist ihr Erfolgsgeheimnis. Das kommt an. «Auch, weil es für die Gäste persönlicher ist», sagt Marco. Sandro nickt: «Da alles immer schnelllebiger wird, suchen die Menschen einen Ort wie das Bahnhöfli.» Zurflühs haben Gäste, die seit 25 Jahren jeden Silvester am selben Tisch sitzen, oder Paare, die vor 50 Jahren bei ihnen geheiratet haben und heute noch vorbeikommen, wie auch deren Kinder und Kindeskinder. Gut 80 Prozent sind Stammgäste aus allen Generationen.
Aber sie kehren auch wegen des feinen Essens im Bahnhöfli ein. Wo werden sowohl ein Chateaubriand, das wie früher am Tisch tranchiert wird, wie auch Jakobsmuscheln mit asiatisch eingelegten Randen und Erdnusscrunch angeboten? «Es ist eine Mischung. Auf der einen Seite sind es klassische Gerichte wie Entrecôte Café de Paris oder Schweinsfilet, die wechseln fast nie», erklärt Marco. «Auf der anderen Seite agieren wir flexibel mit modernen Gerichten.»
Als Basis fungiert die französische Küche, aber mit modernem Touch. «Unser Butterverbrauch ist hoch», sagt Marco schmunzelnd. Das Handwerk wird im Bahnhöfli hochgehalten, Knochen werden ausgekocht, auch Brot, Pasta oder Glace sind hausgemacht. Draussen, in einem alten, umgebauten Frigoschrank, räuchern sie Lachs.
Die Produkte stammen, wenn immer möglich, aus der Region. Aber ob von hier oder dort, Kriterium Nummer eins ist die Topqualität der Produkte. «Wir bieten auch mal Foie gras an. Nicht im Übermass, aber es gibt Liebhaber», sagt Christine. Sie erhielt schon Mails von Leuten, die deswegen nicht mehr kommen. Sie ist auch die Pilzlerin im Haus. Für die Morcheln im Frühjahr habe sie die falsche Brille, irgendwie findet sie nie viele. Aber ab August, wenn die ersten Steinpilze spriessen, dann ist sie nicht mehr zu halten und im nahen Wald unterwegs. «Es ist mehr als eine Leidenschaft, eher ein Virus!», sagt sie schmunzelnd. «Im Herbst spriessen auch die Kraterellen, die passen sehr gut zu Wild.»
«Es muss immer top sein!»
Das Bahnhöfli ist sowohl mittags wie abends gut gebucht. Und sie bekommen viel Lob. Vor allem von Gästen, die es schätzen, dass es die Familie schon über eine so lange Zeit macht. Es ist einfach ihre Leidenschaft. «Ich will nichts anderes machen!», sagt Christine, und Sandro fügt an: «Vielen stinkts, zur Arbeit zu gehen. Mir nie!»
Zurflühs sind Mitglied bei der Gilde etablierter Schweizer Gastronomen und das Bahnhöfli weist 14 GaultMillau-Punkte auf. Hat die junge Generation da Ambitionen? «Für uns passt es so, primär muss das Essen gut sein», sagt Marco. Und Hanspeter ergänzt: «Wichtig ist, dass die Hütte voll ist!» Dafür ist Konstanz ein enorm wichtiger Faktor. «Wenn das Restaurant voll ist, müssen wir die genau gleiche Leistung bringen, wie wenn nur jeder zweite Platz besetzt ist. Es muss immer top sein», so Hanspeter.
Früher machten sie ein Friandise zum Kaffee, irgendwann zwei. Nun können sie nicht mehr zurück. Das gleiche mit dem Amuse-Bouche. Einst lief das so nebenbei, heute sei es ein fester zu planender Bestandteil. Bei 60 bis 70 Amuse-Bouches könne man nicht jedem etwas anderes geben! «Das sehen die Gäste sofort», sagt Christine. «Konstanz muss man vorleben, stets dranbleiben und freundlich sein», sagt Hanspeter. «Wenn ich am Ende des Abends die Runde bei den Gästen mache, wollen sie keinen sehen, der den Kopf hängen lässt.»
Noch sind die Söhne bei ihren Eltern angestellt und beziehen einen Lohn, doch die langjährige Zusammenarbeit läuft ganz klar auf eine Übergabe hinaus. Das hat sich einfach so entwickelt. Genauso wie sie beide Koch lernten. «Ich schnupperte damals noch als Schreiner, aber ich wollte Koch werden», sagt Marco, der sich später zum Chefkoch weiterbildete, und ebenso wie der Vater zudem als Ausbildner und Prüfungsexperte amtet. Und Sandro ergänzt: «Wir sind hier im Haus aufgewachsen und waren es gewohnt, immer um Leute zu sein – da passte es einfach.»
Die Übergabe an die vierte Generation
Die Übergabe passiert fliessend. Grobe Entscheidungen wie Ferien, Investitionen oder grössere Weineinkäufe werden inzwischen gemeinsam gefällt, kleinere Entscheide fällt jedes Department für sich. Zurflühs haben vor einiger Zeit eine GmbH gegründet, damit die Übergabe einfacher vonstattengeht, und mit einem Treuhänder alles aufgegleist. «Er unterstützt uns, es ist ja nicht unser Fachgebiet», sagt Christine. «Es ist ein Prozess, und 2026 übernehmen Marco und Sandro die strategische Führung», fügt Hanspeter an. Und was machen dann die Eltern? Christine und Hanspeter schauen sich an. «Dann helfen wir ihnen, sie halfen uns ja auch!», sagt Christine.
Auch wenn es scheint, als bekämen sie nicht genug voneinander, und bei der Familie Zurflüh Berufliches und Privates oft ineinandergreift, an den freien Tagen macht jeder sein eigenes Ding. «Dann verbringen wir nicht auch noch Zeit miteinander!», sagt Hanspeter. Marco und Sandro schauen sich an und lachen. «Und wie war das gestern, als wir mittags kurz bei euch zum Apéro vorbeischauten?»