Zufriedene Mitarbeitende sind die besten Werber», bestätigt Jörg Buckmann (55). Der Personalmarketingexperte war acht Jahre lang für das Personalmanagement bei den Verkehrsbetrieben Zürich tätig, bevor er sich mit seiner eigenen Firma «Buckmann gewinnt» 2015 selbstständig gemacht hat.
Besonders spannende Leute würden oft über Empfehlungen angeworben, führt er weiter aus. «Wenn Unternehmen es schaffen, dass bestehende Mitarbeitende neue Leute reinbringen, dann hat man gewonnen», so der Experte. Diverse Studien zeigen, dass Mitarbeitende, die über Empfehlungen zu Firmen stossen, besser zum Unternehmen passen, schneller integriert werden können und länger bleiben. Das bedeute für die Betriebe erhebliche Kosteneinsparungen, weil die Mitarbeitenden einfacher gewonnen werden können und länger bleiben.
Der leidenschaftliche Marketer lobt das Konzept von Elvetino: «Coole Mitarbeitende, die über ihre eigenen Social-Media-Kanäle von ihrem Berufsalltag berichten, sind Gold wert.» Denn das würden nur Mitarbeitende machen, die wirklich zufrieden sind. Durch die Ausspielung über die privaten Kanäle sei die Glaubwürdigkeit höher, und für das Unternehmen entstehen keine zusätzlichen Werbekosten. Die Idee sei nach Corona entstanden, erzählt Daniela Corboz von Elvetino.
«Wir konnten alle Mitarbeitenden halten, jedoch haben wir nicht nachrekrutiert, weil die Situation nach wie vor angespannt war», so die CEO. Ebenso sei es klar gewesen, dass man mit klassischen Inseraten nicht mehr weiterkomme. «So haben wir uns gefragt, wie wir authentisch aufzeigen können, was wir in der Bahngastronomie machen», führt sie weiter aus. «Wir haben intern einen Aufruf gestartet und gefragt, wer gerne mit kurzen Videos über seinen Berufsalltag berichten möchte.»
Es hätten sich erstaunlich viele Mitarbeitende gemeldet. «Wir sind 650 Stewards und Stewardessen aus 70 Nationen – das ist unsere grosse Stärke», so Corboz. Diese Videos wurden dann laufend auf Instagram und Facebook gezielt an den Standorten ausgespielt, an denen Elvetino Mitarbeitende gesucht habe. Und so war das neue Personalgewinnungsinstrument geboren.
Mein Berufsalltag auf Social Media
Gleichzeitig geben Mitarbeitende unter dem Hashtag «#sbbrestaurant» authentische und frische Einblicke in den Berufsalltag der Stewards und Stewardessen. So zeigt beispielsweise Mitarbeiterin Gertrude nicht nur die neue Speisekarte auf ihrem Tiktok-Kanal, sondern präsentiert diese in Kombination mit ihren Dance-Moves. «Gery aus Biel hat einfach angefangen auf TikTok. Sie tanzt durch den Speisewagen, zeigt die Karte und begeistert damit viele junge Leute», erzählt Corboz. Auch @speisewagenricci berichtet auf seinem Instagram-Kanal über seinen Berufsalltag. Das Profil zeigt viele strahlende Gesichter in Uniform. Die Videos werden auf dem offiziellen SBB-Kanal geteilt.
Die perfekte Werbung für das Unternehmen
Entstanden ist ein kunterbunter Mix von verschiedenen Videos auf privaten und offiziellen Profilen, die alle etwas gemeinsam haben: Sie zeigen Mitarbeitende, die Spass bei ihrer Arbeit ausstrahlen. Nah, authentisch, teils lustig, teils informativ und teils sehr persönlich. Auf die Frage, ob Elvetino mit dieser Art der Kommunikation nicht auch ein gewisses Risiko eingehe, antwortet die CEO souverän und ehrlich: «Unsere Mitarbeitenden sind unser wichtigstes Gut, und sie transportieren tagtäglich mit viel Stolz und Leidenschaft unsere Werte.»
«Wir sind kein Sternerestaurant, aber bei uns steht eine hohe Dienstleistungsqualität ebenso wie ein freundlicher Service an oberster Stelle», sagt Elvetino-Chefin Daniela Corboz. (Bild: zVg)
Diese Begeisterung nicht für die eigene Werbung zu nutzen, wäre eine verlorene Chance, erklärt sie. Das Unternehmen habe die interessierten Mitarbeitenden mit einem internen Coaching auf die Content-Produktion für Social Media vorbereitet und aufgezeigt, auf was geachtet werden muss. «Selbstverständlich respektieren wir die Persönlichkeitsrechte unserer Gäste, und die Mitarbeitenden wissen, dass wenn immer sie sich mit Gästen zeigen, zuerst deren Einwilligung eingeholt werden muss», erklärt sie.
Zudem nutze das Unternehmen einen Teams-Kanal, auf dem alle Social-Media-Beiträge publiziert werden, die dann geteilt werden können. Corboz legt bei Elvetino Wert auf eine offene und inspirierende Unternehmenskultur, die sich auch im Umgang untereinander und in der Art und Weise, wie die Mitarbeitenden kommunizieren zeigt. «Wir möchten nicht von Anfang an alles einschränken, sondern unseren Mitarbeitenden Vertrauen schenken», erklärt sie. Wenn trotzdem einmal etwas schiefgeht, dann wird das thematisiert und erklärt. «Wir haben zudem klare Regeln, was Diskriminierung angeht», so Corboz. Durch die Diversität bei den Mitarbeitenden gebe es viele verschiedene Möglichkeiten, wie etwas verstanden wird. Da sei ein offener Dialog sehr wichtig.
Das Vertrauen zahlt sich aus
Dass dieser Weg der Richtige ist, zeigt sich in den internen Auswertungen. Das SBB-Restaurant hat eine sehr tiefe Fluktuationsrate von 15 Prozent. Zwei Drittel der Mitarbeitenden bleiben dem Unternehmen im Schnitt über fünf Jahre treu. Das ist in dieser schnelllebigen Branche ein beeindruckender Wert. «Ich denke, es hängt mit dem Gesamtpaket zusammen», führt Corboz aus. Das Unternehmen habe niedrige Einstiegshürden und bietet viel Raum für die persönliche Weiterentwicklung. «85 Prozent der rund 650 Mitarbeitenden haben keine Ausbildung, aber eine gute Grundhaltung und Dienstleistungsorientierung», erklärt sie.
In einer Einführungszeit von rund zwei Monaten wird den neuen Mitarbeitenden der Betrieb vorgestellt, relevante Sicherheitsinfos vermittelt und die täglichen Arbeiten erklärt. Auch die Bezahlung sei gut (mehr als der L-GAV), der Job sehr abwechslungsreich, es gibt keine Zimmerstunde, und jede Überstunde könne aufgeschrieben werden. Alle Mitarbeitenden sind Teil der SBB-Community und tragen ihre Uniform mit Stolz. All diese Punkte sorgen massgeblich dafür, dass die Stewards und Stewardessen von Elvetino mit Spass und Freude ihre Arbeit ausführen – und diese auch öffentlich auf den (unternehmens-)eigenen sozialen Netzwerken teilen.
Die Stimmung muss gut sein
«Wir sind kein Sternerestaurant, und es ist nicht schlimm, wenn ein Kaffee mal von links serviert wird», so Corboz. Wichtig sei eine gute Stimmung. Bei über 650 Mitarbeitenden aus über 70 Nationen gebe es viele verschiedene Persönlichkeiten. Von sehr extrovertiert bis sehr schüchtern sei alles dabei. «Wir tragen zwar alle die gleiche Uniform, aber sind trotzdem sehr unterschiedlich. Und das muss Platz haben», erklärt Corboz.
Diese positive Grundstimmung ist auch als Gast im Zug spürbar. Teilweise hört man den Steward schon von Weitem das aktuelle Angebot durch den Zug rufen, und bei anderen Fahrten wird still und leise der Kaffee serviert. Jedoch immer freundlich und dienstleistungsorientiert. Und das ist nicht immer einfach, denn die Mitarbeitenden stehen unter einem grossen Zeitdruck. «Von Zürich nach Bern muss nach Olten kein Kaffee mehr serviert werden, denn danach möchten die Gäste noch bezahlen», erklärt Corboz.
Die Stewards und Stewardessen in den rund 170 Zugrestaurants müssen gut organisiert sein. «Unsere Mitarbeitenden sind zuständig für das gesamte Restaurant mitsamt aller anfallenden Aufgaben. Sie nehmen die Bestellungen auf, bereiten die Speisen zu, übernehmen den Service, überprüfen das Inventar und kassieren ein», erklärt sie. Zu den hohen Frequenzzeiten brauche es zwei Mitarbeitende, damit die Servicequalität gewährleistet werde.
Das Personal im SBB-Restaurant ist ihr eigener Chef und übernimmt viel Verantwortung. Die Mitarbeitenden sind das Gesicht des Unternehmens gegen aussen und erhalten dafür intern wie auch extern eine grosse Wertschätzung. Diese wird durch die Kommunikation über die sozialen Netzwerke um ein Vielfaches multipliziert. Das Personal trägt die Uniform mit Stolz und gibt täglich das Beste, den Gästen einen schönen Zugaufenthalt zu ermöglichen. «Wer schon einmal in Uniform vor oder in einem Zug gestanden hat, weiss, wie viele Fragen man bekommt», erklärt Corboz schmunzelnd.
Vier Fragen an: Christoph Boll
- Wie läuft aktuell die Personalbeschaffung?
Der Arbeitgebermarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt verwandelt. Arbeitgeber müssen mit attraktiven Angeboten um den Führungskräftenachwuchs werben. Hier ist es wichtig, sich von der passiven Rekrutierung zu verabschieden. Eine einfache Stellenanzeige zu schalten und darauf zu hoffen, dass sich qualifizierte Bewerber melden, ist nicht mehr zielführend. - Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Die Branche wurde immer besser im Erfüllen der Gästewünsche und hat sich weltweit mit höheren Standards und steigenden Übernachtungszahlen übertrumpft. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sind dabei jedoch auf der Strecke geblieben. Schon 2013 traf der Hotelier Reto Wittwer einen Nerv der Branche: «In Zukunft werden Hotels nicht wegen fehlender Gäste schliessen – sondern wegen fehlender Mitarbeitender.» - Was können Betriebe besser machen?
Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden müssen ins Zentrum gestellt werden, insbesondere bei der Rekrutierung. Statt nach dem Motto «Wir suchen» sollte ein Stelleninserat eher mit «Wir bieten» anfangen. Niedrige Einstiegshürden und eine klare Kommunikation der Benefits sind hier zentral. Gute Fachkräfte suchen nicht nur ein gutes Arbeitsumfeld, sondern auch die Chance auf Weiterentwicklungsmöglichkeiten. - Was ist eine gute Candidate Experience?
Die Candidate Experience umfasst alle Wahrnehmungen und Erfahrungen, die ein Bewerbender macht. Dazu gehören die Jobsuche, die Karriereseite, der Bewerbungs- und Interviewprozess, ebenso wie das Onboarding. Die Betriebe müssen sämtliche Schritte auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausrichten.
Christoph Boll leitet seit 2016 die Geschäfte von Konen & Lorenzen in der Schweiz. Seine Masterthesis «Die Arbeitgeberattraktivität der Schweizer Hotellerie» liefert praktische Ansätze zur Reduktion der Fluktuation und Steigerung der Arbeitgeberattraktivität.