Knapp zwei Stunden Autofahrt vom Flughafen Barcelona entfernt liegt die DOQ Priorat, eine der ältesten Weinbauregionen Spaniens, genauer gesagt von Katalonien. Die DOQ Priorat erstreckt sich über eine riesige Fläche und ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. 1998 waren noch 24 Weingüter vertreten, heute sind es ganze 117! Bei unserer Ankunft in Gratallops, der Hauptstadt des Priorats, begrüsst uns Cristina Jiménez vom Hotel und Restaurant Cal Llop, einer kleinen und feinen Pension im Herzen des malerischen Dorfs.
Jedes Dorf hat seinen Charakter
Gratallops ist eines von zwölf Dörfern im Priorat (Bellmunt, Escaladei, Gratallops, El Lloar, La Morera, Poboleda, Porrera, Torroja, La Viella Alta, la Viella Baixa, Masos de Falset, Solanes del Molar). Es beheimatet neben den bekanntesten Weingütern aus dem Priorat wie Alvaro Palacio, Avatus und Clos Mogador auch viele kleinere Betriebe wie jenen von Josep Grau Viticultor, die elegante und charakterstarke Weine produzieren. Oder jenen von Clos Pachem mit Gemma Morató, Verkaufsdirektorin und Sommelière, die nicht nur hervorragende Weine vermarktet, sondern auch eine herzhaft strahlende Persönlichkeit ist. Das Weingut Clos Pachem wurde vom Schweizer Michel Grupper gegründet.
Im heissen und tiefgelegenen Gratallops wird hauptsächlich Garnacha angebaut. Die Rebsorte liefert bei Trockenheit und Hitze konzentrierte, alkoholreiche und opulente Rotweine. Wie die vorgängigen Beispiele zeigen, können auch in Gratallops trotz Hitze und Trockenheit elegante Weine produziert werden. Rund 20 Minuten entfernt liegt das höchste Dorf im Priorat, Porrera. Die Rebberge befinden sich hier auf 300 bis 500 Meter über Meer.
Aufgrund der Höhe profitieren die Reben von einem kühleren Klima. Dieses ist ideal für die Rebsorte Carignan. Die spät reifende Traubensorte ist eher dunkel und besitzt eine ausgeprägte Tannin- und Säurestruktur. Hier produziert Joan Sangenis in der zehnten Generation die hervorragenden Weine vom Cellar Cal Pla. Seine Familie lebt und vinifiziert bereits seit über 240 Jahren in Porrera und hat die ganze Geschichte des Priorats miterlebt.
Ist die Zukunft weiss?
Sangenis und sein Team haben 1998 angefangen, wieder vermehrt Rebstöcke mit weissen Trauben zu pflanzen. «Wenn wir den Markt anschauen, dann wird weniger Körper, weniger Alkohol und weniger Struktur gefordert. Das können wir mit unseren Weissweinen gut umsetzen», so Sangenis. Auch hinsichtlich der aktuellen Herausforderungen wie Wassermangel aufgrund der Klimaerwärmung, sind Überlegungen in andere Richtungen durchaus sinnvoll.
Der Master of Wine Pedro Ballesteros wagt eine Prognose für das Priorat: «The future is white.» Ganz so weit würde Sangenis nicht gehen. Aber eins ist klar: Er und andere Winzer beginnen vermehrt mit dem Anbau von weissen Rebsorten wie zum Beispiel Pedro Ximénez, Garnacha Blancha oder Picapoll Blanc. Auch Marc Ripoll Sans von Cal Batllet, ein visionärer Winzer aus Gratallops, rekultiviert eine alte weisse Rebsorte aus dem Priorat namens Escanya-Vella und produziert damit hervorragende mineralische und aromatische reinsortige Weissweine.
Das Dorf Porrera hat rund 400 Einwohner und liegt in der Provinz Tarragona. (Bild: Nicole Steffen)
Tradition trifft Moderne
Man darf gespannt sein, wie sich das Priorat in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Vor Ort spürt man die Aufbruchsstimmung. Die neue Generation versprüht viel Dynamik und Aufwind. Berta Camps (25), die Önologin des Weinguts Cellers de Scala Dei in Escaladei, steht sinnbildlich für diesen Wandel.
Sie produziert mit der Rebsorte Grenache neben den traditionellen Rotweinen auch Blanc de Noirs und Roséweine. Camps sieht die Zukunft ebenfalls mit den Weissweinen. Den aktuellen Herausforderungen wie dem veränderten Konsumentenverhalten und dem Klimawandel steht sie positiv gegenüber, denn eines ist für sie klar: «Das Priorat ist eine kleine Region, und wir begegnen den Herausforderungen gemeinsam.»
Gleichzeitig könne die Region auf ein grosses Wissen aufbauen. «Wir greifen auf über 1oo Jahre Erfahrung im Rebbau zurück. Das macht uns stark», so Camps. Was viele nicht wissen: Die Geschichte des Priorats war vor allem durch weibliche Kräfte geprägt. Nachdem die Filoxera (Reblaus) fast den gesamten Bestand der Reben Ende des 19. Jahrhunderts vernichtet hatte, gab es keine Arbeit mehr in den Reben. Die Männer gingen in die Städte und malochten in Fabriken.
Frauenpower im Priorat
Die Frauen arbeiteten auf dem Land und pflanzten neue Reben. Auch in der Familie Sandra Doix vom Weingut Sandra Doix war das so. Es war die Urgrossmutter von Sandra, die nach der Filoxera und nach dem spanischen Bürgerkrieg das Land, die Familie und die Reben pflegte. Josefina Estrems war eine der vielen starken Frauen, die der kargen Landschaft im Priorat wieder Leben einhauchten, neue Reben pflanzten – und sich um diese kümmerten.
«Genau deshalb liebe ich meinen Beruf, diese Region und die Weine», sagt Sandra Doix. Ihre Urgrossmutter habe ihr ganzes Leben in diese Region investiert. «Dieses Engagement, diese Leidenschaft und dieses Wissen geben wir von Generation zu Generation weiter», sagt Doix. Neben den beeindruckenden Persönlichkeiten und hervorragenden Weinen ist das Priorat vor allem für eines bekannt: seine einzigartige Bodenbeschaffenheit.
Höchste Herkunftsbezeichnung
16 verschiedene Gesteine findet man im Priorat vor. Von Ton, Sandstein, Quarz über Kalkstein bis hin zu verschiedenen Schieferböden ist alles vorhanden. Der bekannteste ist wohl der Llicorella-Schiefer. Dieser ist der Boden in den Costers (Hängen).
Sie sind die ursprünglichen Weinberge im Priorat. Keine Terrassen, sondern natürliche Hänge mit einer losen, zerstückelten Oberfläche. Diese Böden sind nicht sehr fruchtbar und speichern fast kein Wasser, was für die Rebe einen erheblichen Stress bedeuten kann. Jedoch wird durch diese Herausforderung die Traubenproduktion limitiert, die Qualität gesteigert und eine Mineralität erreicht, welche die Weine im Priorat einzigartig machen. 2001 wurde das Priorat zur höchsten spanischen Qualitätsstufe DOCa (Denominación de Origen Calificada) erhoben. Das Priorat und die Rioja sind bis heute die beiden einzigen Weinregionen Spaniens, die diese höchste Herkunftsbezeichnung tragen dürfen.
Eine eigene Klassifizierung
Das Priorat hat im Gegensatz zur Rioja oder zu anderen Weinregionen Spaniens ein eigenes Klassifikationsverfahren. Hier wird auf die gängige Qualitätseinteilung (Crianza, Reserva, Gran Reserva) verzichtet und stattdessen auf eine eigene Klassifizierungspyramide gesetzt. Diese unterscheidet sich in fünf Kategorien: Vins de la Regio, Vins de Vila, Vins de Paratge, Vinya Classificada und Gran Vinya Classificada.
Neben geografischen Restriktionen hinsichtlich Anbau, Ausbau und Abfüllung definiert das System auch das Alter der Reben. Bei einem Vins de Vila müssen 90 Prozent der Reben mindestens 5 Jahre alt sein. Bei einem Vins de Paratge müssen 90 Prozent der Reben mindestens 10 Jahre alt sein, und bei einem Vinya Classificada sind 80 Prozent der Reben mindestens 15 Jahre alt. Ein Gran Vinya Classificada bedeutet: 80 Prozent der Reben sind mindestens 25 Jahre alt.
Drei Fragen an: Rafel Muria (30), Küchenchef im Quatre Molins im Priorat
Was bedeutet die Region Priorat für Sie?
Das Priorat steht für Tradition und Moderne. Eine Region mit unglaublichen Weinen, die mit viel Charakter und Finesse überzeugen.
Wie kombinieren Sie die Weine mit Ihrer Küche?
Teil meiner Arbeit ist es, immer wieder die perfekte Marriage zwischen Wein und Speise zu finden. Unsere Weine sind sehr gut, das spornt mich und mein Team an, mit unseren Kreationen genauso gut zu sein. Die Weine sind kräftig und präsent, und genauso wollen wir es mit der Küche machen. Unsere Küche ist nicht still und leise, sondern vielmehr laut und präsent.
Wie sieht Ihre Vision für das Priorat aus?
Ich wünsche mir, dass die gesamte Region wächst. Es ist gut für uns, wenn weitere Fünf- sternehotels kommen, genauso wie es gut für uns ist, wenn ein weiteres Boutiquehotel eröffnet. Wir schätzen auch weitere Restaurants, die die Destination beleben. Weil an einem Tag isst der Gast im anderen Restaurant und am nächsten Tag bei uns. Nur gemeinsam können wir wachsen.