«Meine Lebenseinstellung? Man muss ehrlich sein»

Corinne Nusskern – 10. Oktober 2024
Pascal Steffen zelebriert im Restaurant Roots in Basel konstant nachhaltigen Gourmet­genuss auf höchstem Niveau, bei dem Gemüse eine Starrolle einnimmt. Mit dem GastroJournal spricht er über seine Werte, seine neue Rolle als Unternehmer und weshalb er fünf Jahre an einem einzigen Gericht tüftelte.

Wenn in Ihren Gerichten Tierisches integriert ist, dann ist es meist etwas Spezielles wie Wels, Hecht, Lammhals. Was ist da Ihr Anspruch?
Es geht darum, neben dem Produkt, unsere Handwerkskunst und unser Können in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedingt ein gewisses Fachwissen. Vor einem Monat nahm ich eine Wildsau auseinander, das heisst «ein Wild aus der Decke schlagen». Zuletzt machte ich das während meiner Lehre. Ich erinnerte mich genau, wie ich vorgehen musste. Das ist wie Velofahren, man verlernt es nicht.

 

Elaborierte Saucen, Fonds und Essenzen sind ebenso eines Ihrer Markenzeichen – oder gar ein Markenzeichen der Basler Sterneköche?
Vielleicht ist es das Rheinwasser (lacht). Saucen und Fonds sind essenziell. Ein holländisches Sprichwort sagt: «Was für die Sprache die Grammatik ist, ist die Sauce für die Kochkunst.» Das sagt alles. Es braucht aber gute Grundprodukte und Zeit, viel Zeit.

 

Ihre Kreationen wirken so leicht, mit perfekt austarierten Farben und Formen. Wie lange tüfteln und arrangieren Sie, bis sie so perfekt sind?
Es sind Prozesse, die können von einer halben Stun­de bis zu fünf Jahren dauern. Das war das längste (lacht). Ich war noch in Vitznau, als ich die Idee von einer Schweinskopfbacke mit Rettich hatte. Aber es passte irgendwie nie, nie war es richtig rund. Ich legte die Notizen zur Seite, nahm sie wieder hervor, legte sie zur Seite. Eines Tages blätterte ich in meinem selbst geschriebenen Rezeptbüchlein und stiess auf eine Sau­ce, die ich einst in Madrid kennengelernt hatte, die Salsa Shang­hai, eine Szechuanpfeffersauce. Und diese harmoniert perfekt! Seit­her machen wir im Roots immer mal wieder eine Interpretation davon. Für vie­le Gäste ist es das Highlight-Gericht.

 

Die Sternegastronomie ist im Wandel. Einige Chefs ver­abschiedeten sich freiwillig, andere mussten. Wie kann die Sternegastronomie langfristig bestehen?
Aus meiner Sicht müssen wir zurück zu einer ehrlichen Gastronomie. Wichtig ist, das Unternehmerische im gesamten Prozess zu denken und die Nachhaltigkeit einfliessen zu lassen, damit alle davon leben können. Dann gibt es eine schöne Sache. Einfach ehrlich sein und auf allen Ebenen und in allen Bereichen den Betrag verlangen, den man muss, und der das Produkt oder die Dienstleitung wert ist. Ich diskutiere nie mit einem Produzenten über den Preis. Es ist ein Geben und ein Nehmen, dahin müssen wir zurückkehren und uns auf wirklich wich­tige Werte wie zum Beispiel das Zwischenmenschliche fokussieren.

 

Führen Sie nach diesen Werten auch Ihre zwölf Mit­arbeitenden?
Wir verbringen hier so viel Zeit zusammen, da muss das Zwischenmenschliche stimmen. Manchmal stau­nen sie, welch megaklare Ansagen ich mache, an denen es nichts zu rütteln gibt (lacht). Andererseits gehen wir nach dem Service auch zusammen etwas essen und sitzen gemütlich beisammen. Meine Mitarbeitenden wissen: Wir machen hier Spitzensport, müssen etwas abliefern, und dabei uns und dem Gast gegenüber ehrlich bleiben. Da muss einer die Zügel in die Hand nehmen.

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Pascal Steffen: «Teilhaber des Roots zu werden, ist ein klares Statement, das hier weiter machen zu dürfen. Und es ist eine enorme Anerkennung für meine Arbeit.» (Bild: Daniel Winkler)

Demnächst kochen Sie zusammen mit Ihren Mitarbeitenden zum zweiten Mal am Excellence-Gourmetfestival auf dem Rhein. Was reizt Sie daran?
Vom Roots aus ist es quasi ein Heimspiel. Es ist ein Event, bei dem man aus seiner Komfortzone kommen muss. Ich frage jeweils meine Mitarbeitenden, ob sie mitmachen möchten. Sie sagen sofort «Ja, klar!» und freuen sich immer darauf.

 

Und am 11. November öffnen Sie Ihre Küche für den GastroFutura-Event OpenKitchens. Ein Anlass, der dazu beitragen soll, die Nachhaltigkeitstransformation zu fördern.
Ich freue mich riesig darauf. Eigentlich bräuchte es, um Klarheit zu schaffen, eine Zertifizierung für Nachhaltigkeit. Doch wenn man es lebt, spielt es wiederum keine Rolle, ob man das Siegel hat oder nicht. Da ist es wieder: Man muss ehrlich sein, das ist eine Lebenseinstellung.

 

Was raten Sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die es so weit bringen möchten wie Sie?
Man muss sich selbst und ehrlich zu sich sein und es richtig machen. Als ich vor sieben Jahren hier begann, den Fokus auf Gemüse zu richten, hatte ich einen ziemlich schweren Stand. Es gab Leute, die das belächelt haben. Heute begegnen wir uns auf Augenhöhe. Man darf sich nicht beirren lassen oder gar aufgeben, wenn es nicht sofort funktioniert. Ich trage seit der dritten Klasse einen Zettel im Portemonnaie, darauf steht: «Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als scheitern.» Man muss sich bewusst sein, dass ein Restaurant nicht vom ersten Tag an eine volle Auslastung generiert. Es braucht Zeit sowie die Einstellung, immer seine besten 200 Prozent geben zu wollen für das, was einem Freude und Spass macht. Ich kann entweder einer von vielen sein oder viel dafür tun, um etwas anderes und Spezielles zu machen.