Ein Lichtstrahl fällt auf die drei Einmachgläser und verleiht den eingelegten Dillblüten, Arvenzapfen und Wickenblüten ein zwischen Senfgold und Olivgrün changierendes Leuchten. Auf dem Tisch liegen eine fingrige Schwarzwurzel, diverse Randen und ein Knollensellerie.
Es ist die Welt des Gemüsezauberers Pascal Steffen (38). Aber nicht nur. Der Küchenchef zeigt ein in Koji mariniertes Rindsentrecôte. «Bis am Samstag ist das superzart und nussig im Geschmack», schwärmt er. Seit 2017 begeistert der gebürtige Luzerner im Restaurant Roots in Basel mit seiner gemüsestarken Gourmetküche in entspanntem Ambiente.
Aktuell hält er zwei Michelin-Sterne und 18 GaultMillau-Punkte, der grüne Michelin-Stern wäre längst überfällig! Anfang 2025 zieht er mit dem Roots vom Rhypark ins einstige Restaurant Oliv im Bachlettenquartier – und er wird Teilhaber: Das Roots wird in Zukunft von Dragan Rapic und Pascal Steffen gemeinsam geführt.
Pascal Steffen, das heisst, Sie sind nun auch Unternehmer!
Pascal Steffen: Ist man das nicht immer? Überall, wo ich arbeitete, war es für mich stets ein Ansporn, auch den Aspekt des Unternehmertums zu leben. Es nützt nichts, wenn ich Gutes kochen kann, doch zu hohe Mitarbeiter- und Warenkosten habe und zu wenig Einnahmen generiere. Das Geschäft muss laufen, auch das ist Nachhaltigkeit. Ich hatte nie jemanden, der mich finanziell unterstützte, sodass ich einfach machen konnte. Zum Glück! Ich bin so aufgewachsen. Wollten wir ein neues Velo, mussten wir dafür sparen. Klar gaben die Eltern ihren Teil dazu. Aber dadurch hatte das neue Velo einen ganz anderen Wert. Diese Grundgedanken mit auf den Weg zu bekommen, ist später sehr hilfreich.
Ein kurzer Blick zurück: Wo und wie sind Sie aufgewachsen, und wollten Sie schon immer Koch werden?
Sehr ländlich und behütet und mit zwei Geschwistern im luzernischen St. Urban. Durch meine italienischen Wurzeln, meine Mutter ist Italienerin, standen das Essen und das Miteinander-Essen immer im Mittelpunkt. Ich half oft beim Kochen. Meine Primarlehrerin sagte kürzlich, als sie hier im Roots war, dass ich schon in der zweiten Klasse Koch werden wollte.
Gemüse steht bei Ihnen im Zentrum. Haben Sie schon als Kind freiwillig nach Gemüse gegriffen?
Ja. Wir hatten einen Garten, in dem meine Eltern Setzlinge zogen – ein bisschen wie in einem italienischen Schrebergarten. Ich hatte kürzlich ein Gericht mit Tomaten auf der Karte, das mich stark an Momente meiner Kindheit erinnerte. Für mich waren damals eine Tomate, die von der Sonne gewärmt am Strauch hing, und der Duft des Strauches das Beste überhaupt! Mit dem Birsmattehof in Therwil BL habe ich heute das Glück, einen Produzenten zu haben, der die Tomaten nicht kühlt.
Haben Sie das «Garten 28», ein Gericht mit 28 verschiedenen Gemüseinterpretationen aus saisonalen Bio-Produkten, vom Birsmattehof noch?
Das kann ich nicht von der Karte nehmen, es ist zu beliebt! Es ist meist ein kaltes Gericht, ähnlich einem zusammengestellten Salat, der die Saison widerspiegelt und mit 28 Positionen die Vielfalt von Gemüse zeigt. Es ist unser Experimentierteller, der sicherlich am meisten Zeit in Anspruch nimmt. Letztes Jahr hatten wir Chayoten. Sie haben wenig Eigengeschmack, aber mit einer Marinade kann man viel herausholen. Man muss immer weiterdenken. Das ist das Spannende an unserem Beruf.
Der bewusste Umgang und auch die Wertigkeit von Produkten sind Ihnen wichtig. Wo beginnen und wo enden sie?
Es ist ein Kreislauf, und der beginnt bereits beim Boden und Samen. Wo kommt er her? Wo und wie wird ein Produkt angebaut? Sind es alte oder neue Sorten? Ich finde es enorm wichtig, dies zu wissen und sich dessen bewusst zu sein. Wo immer es möglich ist, sollte man darauf achten. Auch wie viele Ressourcen hinter einem Produkt stecken. Es ist nicht einfach ein Rüebli, da stehen immer Menschen dahinter! Jemand hat es gesät, den Setzling gezogen, gehegt und gegossen und schliesslich geerntet. Reine Regionalität ist ein alter Hut. Wichtig ist es zu wissen, wie die Arbeitsbedingungen auf einem Hof sind. Bekommt die mitarbeitende Frau des Bauers auch Lohn und Sozialleistungen bezahlt? Das sollte man alles hinterfragen.
Darf ein Produkt auch mal von weiter weg herkommen?
Es darf, aber auch dort müssen die Bedingungen stimmen. Zum Birsmattehof habe ich einen nahen Bezug. Das schafft Transparenz, und ich vertraue ihnen. Bei einem Produzenten, den ich nie sehe, ist das schwieriger.
Gibt es Produkte, bei denen Sie auch mal ein Auge zudrücken?
Ich schliesse nicht viele Produkte aus, aber gestopfte Gänse- und Entenleber, Thunfisch oder Aal müssen nicht sein. Unsere Gier macht vieles kaputt. Kaviar gibt es tonnenweise, doch Bergkartoffeln wie die Corne de Gatte von Freddy Christandl und Marcel Heinrich aus Filisur GR sind selten! Das ist etwas sehr Spezielles und ein Privileg mit diesen arbeiten zu können. Auch da habe ich einen schönen Bezug: In meinen ersten Ferien, an die ich mich erinnern kann, fuhren wir dem Zug in ein Hotel nach Filisur.
Wenn in Ihren Gerichten Tierisches integriert ist, dann ist es meist etwas Spezielles wie Wels, Hecht, Lammhals. Was ist da Ihr Anspruch?
Es geht darum, neben dem Produkt, unsere Handwerkskunst und unser Können in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedingt ein gewisses Fachwissen. Vor einem Monat nahm ich eine Wildsau auseinander, das heisst «ein Wild aus der Decke schlagen». Zuletzt machte ich das während meiner Lehre. Ich erinnerte mich genau, wie ich vorgehen musste. Das ist wie Velofahren, man verlernt es nicht.
Elaborierte Saucen, Fonds und Essenzen sind ebenso eines Ihrer Markenzeichen – oder gar ein Markenzeichen der Basler Sterneköche?
Vielleicht ist es das Rheinwasser (lacht). Saucen und Fonds sind essenziell. Ein holländisches Sprichwort sagt: «Was für die Sprache die Grammatik ist, ist die Sauce für die Kochkunst.» Das sagt alles. Es braucht aber gute Grundprodukte und Zeit, viel Zeit.
Ihre Kreationen wirken so leicht, mit perfekt austarierten Farben und Formen. Wie lange tüfteln und arrangieren Sie, bis sie so perfekt sind?
Es sind Prozesse, die können von einer halben Stunde bis zu fünf Jahren dauern. Das war das längste (lacht). Ich war noch in Vitznau, als ich die Idee von einer Schweinskopfbacke mit Rettich hatte. Aber es passte irgendwie nie, nie war es richtig rund. Ich legte die Notizen zur Seite, nahm sie wieder hervor, legte sie zur Seite. Eines Tages blätterte ich in meinem selbst geschriebenen Rezeptbüchlein und stiess auf eine Sauce, die ich einst in Madrid kennengelernt hatte, die Salsa Shanghai, eine Szechuanpfeffersauce. Und diese harmoniert perfekt! Seither machen wir im Roots immer mal wieder eine Interpretation davon. Für viele Gäste ist es das Highlight-Gericht.
Die Sternegastronomie ist im Wandel. Einige Chefs verabschiedeten sich freiwillig, andere mussten. Wie kann die Sternegastronomie langfristig bestehen?
Aus meiner Sicht müssen wir zurück zu einer ehrlichen Gastronomie. Wichtig ist, das Unternehmerische im gesamten Prozess zu denken und die Nachhaltigkeit einfliessen zu lassen, damit alle davon leben können. Dann gibt es eine schöne Sache. Einfach ehrlich sein und auf allen Ebenen und in allen Bereichen den Betrag verlangen, den man muss, und der das Produkt oder die Dienstleitung wert ist. Ich diskutiere nie mit einem Produzenten über den Preis. Es ist ein Geben und ein Nehmen, dahin müssen wir zurückkehren und uns auf wirklich wichtige Werte wie zum Beispiel das Zwischenmenschliche fokussieren.
Führen Sie nach diesen Werten auch Ihre zwölf Mitarbeitenden?
Wir verbringen hier so viel Zeit zusammen, da muss das Zwischenmenschliche stimmen. Manchmal staunen sie, welch megaklare Ansagen ich mache, an denen es nichts zu rütteln gibt (lacht). Andererseits gehen wir nach dem Service auch zusammen etwas essen und sitzen gemütlich beisammen. Meine Mitarbeitenden wissen: Wir machen hier Spitzensport, müssen etwas abliefern, und dabei uns und dem Gast gegenüber ehrlich bleiben. Da muss einer die Zügel in die Hand nehmen.

Pascal Steffen: «Teilhaber des Roots zu werden, ist ein klares Statement, das hier weiter machen zu dürfen. Und es ist eine enorme Anerkennung für meine Arbeit.» (Bild: Daniel Winkler)
Demnächst kochen Sie zusammen mit Ihren Mitarbeitenden zum zweiten Mal am Excellence-Gourmetfestival auf dem Rhein. Was reizt Sie daran?
Vom Roots aus ist es quasi ein Heimspiel. Es ist ein Event, bei dem man aus seiner Komfortzone kommen muss. Ich frage jeweils meine Mitarbeitenden, ob sie mitmachen möchten. Sie sagen sofort «Ja, klar!» und freuen sich immer darauf.
Und am 11. November öffnen Sie Ihre Küche für den GastroFutura-Event OpenKitchens. Ein Anlass, der dazu beitragen soll, die Nachhaltigkeitstransformation zu fördern.
Ich freue mich riesig darauf. Eigentlich bräuchte es, um Klarheit zu schaffen, eine Zertifizierung für Nachhaltigkeit. Doch wenn man es lebt, spielt es wiederum keine Rolle, ob man das Siegel hat oder nicht. Da ist es wieder: Man muss ehrlich sein, das ist eine Lebenseinstellung.
Was raten Sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die es so weit bringen möchten wie Sie?
Man muss sich selbst und ehrlich zu sich sein und es richtig machen. Als ich vor sieben Jahren hier begann, den Fokus auf Gemüse zu richten, hatte ich einen ziemlich schweren Stand. Es gab Leute, die das belächelt haben. Heute begegnen wir uns auf Augenhöhe. Man darf sich nicht beirren lassen oder gar aufgeben, wenn es nicht sofort funktioniert. Ich trage seit der dritten Klasse einen Zettel im Portemonnaie, darauf steht: «Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als scheitern.» Man muss sich bewusst sein, dass ein Restaurant nicht vom ersten Tag an eine volle Auslastung generiert. Es braucht Zeit sowie die Einstellung, immer seine besten 200 Prozent geben zu wollen für das, was einem Freude und Spass macht. Ich kann entweder einer von vielen sein oder viel dafür tun, um etwas anderes und Spezielles zu machen.