Von aussen deutet an diesem dunkelroten Industrieblock im bernischen Kehrsatz nichts auf ein kreatives Unternehmen hin. Doch im zweiten Stock bei DMD2 werden individuelle Musiklösungen und kuratierte Playlists speziell auf die Bedürfnisse von Restaurants, Hotels oder Bars kreiert.
Alexander Dal Farra, Musik findet sich im Gastgewerbe überall, aber es ist nicht immer die Richtige. Wie schwierig ist es, sich die richtige Musik ins Haus zu holen?
Alexander Dal Farra: Es ist nicht schwierig, sobald man weiss, wer man selbst ist, wer die Gäste sind und was man damit erreichen will. Musik ist keine exakte Wissenschaft, aber neben dem Geruch ist sie das stärkste Mittel des Neuromarketings, da sie direkt emotionalisiert. Für ein massgeschneidertes Soundkonzept müssen wir vor Ort das Licht, den Geruch und die Stimmung auf uns wirken lassen, um zu spüren, was Wohlfühlen hier bedeutet. Und wir stellen ganz viel Fragen.
Aber der Anspruch an Musik ist doch je nach Betriebsart und Ort völlig unterschiedlich?
Nehmen wir als Beispiel ein Fünfsternehotel mit einer Rezeption mit Lounge, einer Bar und einem À-la-carte-Restaurant. Da bestehen unterschiedliche Musikbedürfnisse. Dennoch muss man nicht verschiedene Soundzonen einrichten, sondern nur eine, die sich mit dem Flow des Tages entwickelt, bezüglich Lautstärke, Intensität und Genre. Hätte jedes Umfeld eine andere, das würde alle wahnsinnig machen!
Wie findet man den passenden Sound für alle Gäste – die doch alle einen individuellen Musikgeschmack haben?
That’s magic! (lacht) Dass man in einer Fünfsternebar nicht Mötley Crüe spielt, versteht sich von selbst. Aber es ist nicht nur Geschmackssache, man findet einen gemeinsamen Nenner, wenn man 40 individuelle Geschmacksrichtungen oder Genres übereinanderlegt. Wir reden da oft von einem gepflegten Golfrasen, wo kein Halm herausragt und nichts ausschert, damit es je nach Tageszeit den passenden Flow gibt und die Gäste die Musik nicht bewusst wahrnehmen – sie aber trotzdem wirkt.
Welche Rolle spielen neben Tages- die Jahreszeiten oder Events?
Eine grosse! Weihnachten etwa ist das grösste Eventthema bei uns, die finden musikalisch überall im Gastgewerbe statt, aber wir unterscheiden uns qualitativ vom gängigen Einheitsbrei. Ganz aktuell ist der kommende ESC! Wir haben einige Kunden in Basel, die sich deswegen zurzeit spezielle Playlists mit den grössten ESC-Hits wünschen.
Warum bieten Sie neben massgeschneiderten Lösungen auch Standard-Playlists an?
Die Geschichte unserer Firma ist eng mit der Hotellerie verknüpft, vor allem mit Philippe Frutiger, dem heutigen CEO der Giardino Group. Wir kennen uns seit der Kindheit. Als er 2005 mit dem Lenkerhof zum «Hotelier des Jahres» gekürt wurde, trafen wir uns wieder und er sagte: «Musikkonzepte? Das ist ein Riesenthema in der Hotellerie!» Die Offerte für ein eigenes Programm war ihm damals zu teuer, und er meinte, er hätte gar nicht den Anspruch, dass dieses nur für seinen Betrieb sei. Da kam mir die Idee mit den Playlists. Denn in allen Hotels ist der Sound immer ein Thema. Entweder ist es nicht der Richtige, die Lieder sind nicht in der gleichen Lautstärke konfiguriert, oder die Legalitätsfrage ist nicht geklärt.
Und wie funktioniert es – löst man ein Abo, oder gibt es eine App für die Playlists?
Ein Gastronom oder eine Hotelière kann aus 100 Kanälen heraussuchen, was für den jeweiligen Betrieb passt, dies über unsere App laden und via Blutooth Lautsprecher verbinden, mit Airplay oder Sonos-Player oder über den Webbrowser hören –man muss keine Extrageräte anschaffen. Es gibt eine Testversion, die ist während 30 Tagen gratis. Alles ist kuratiert und wird täglich aktualisiert. Erscheint etwa ein neues Billie-Eilish-Album, bekommen wir dieses digital zugespielt. Alle neuen Tracks werden von unseren Mitarbeitenden angehört und in einer Datenbank nach Tonart, Beats pro Minute, Genre und Stimmung gespeichert. Inzwischen sind wir bei 1,5 Millionen Tracks. Es gibt sehr selten etwas, das wir nicht abdecken können. Nordostschottischer Folk ist bei uns jetzt nicht so gefragt ...
Und wie sieht es mit der Lizenzierung aus?
Für die Aufführung von Musik brauchen alle im Gastgewerbe eine Suisa-Lizenz, egal welche Quelle sie benutzen. Unser Dienst ist für die kommerzielle Nutzung legal. Musikanbieter wie Spotify sind in der Branche weitverbreitet, aber in den AGBs steht, dass sie nicht kommerziell genutzt werden dürfen. Es ist sogar illegal. Viele Gastronomen oder Hoteliers wissen dies nicht oder tun es trotzdem. Verzeigungen und Bussen gibt es kaum, es gilt als Kavaliersdelikt. Aber es ist nicht ok. Schliesslich wird mit der Musik ein Mehrwert generiert, und sie trägt zum kommerziellen Erfolg eines Betriebs bei – dafür sollten die Musiker auch korrekt entlöhnt werden.

Alexander Dal Farra: «Ich wollte Schlagzeuger werden. Als ich länger ins Spital musste, versprachen mir meine Eltern, sobald ich zu Hause sei, dürfe ich ein Instrument lernen. Und ich dachte, yeah, Schlagzeug! Doch die Eltern sagten: ‹Nein, alles, aber das nicht.› Es wurde dann Klavier.» Foto: Daniel Winkler)
Und wie stark werden bei Musikkonzepten die Restaurant- oder Barmitarbeitenden einbezogen, die der Musik ja permanent ausgesetzt sind?
Das sprechen wir immer an, die Mitarbeitenden sind enorm wichtig! Wir empfehlen zu verschiedenen Tageszeiten ein unterschiedliches und vor allem grosses Repertoire mit geringer Wiederholungsintensität. Wenn jeden Abend um 18 Uhr «Black Velvet» läuft, verdreht irgendwann jede Mitarbeitende die Augen. Bei uns kommt nie, nie, nie die gleiche Abfolge. Es gab aber auch schon Kunden, die genau das wollten, mit der Vermutung, das Personal höre es nach einer Woche eh nicht mehr. Ich finde das schwierig.
Welcher Sound geht immer?
Die leicht jazzigen Songs von Sergio Cammariere mit dem Trompeter Fabrizio Bosso, die gehen immer, vor allem in einem Fünfsterneumfeld. Und natürlich «Sabotage» von den Beastie Boys! (lacht) Dieser aber eher in einer Bar – oder in der Küche! Dort darf es laut sein.
Was kommt Ihnen nicht in die musikalische Datenbank?
Schlecht performte oder schlecht interpretierte Musik. Sonst müssen wir offen sein für alles. Es steht uns nicht zu, was in der Hitparade läuft oder Songs mit immer gleichen Arrangements zu ignorieren. Das können und wollen wir auch nicht.
Letzte Frage an den akustischen Master des Hintergrunds: Wann muss es absolut still sein?
In der Gastronomie gibt es eigentlich keinen Ort, der absolut ruhig sein muss. Im Ruheraum eines Spas hingegen ist absolute Stille ein Segen. Ich finde es schrecklich, wenn es auf WC-Anlagen ganz still ist – weil es dort eben nie still ist. Für die Welle 7 und das Westside in Bern haben wir ein Toilettenmusikkonzept realisiert, ein entspannender New-Age-Stream mit loungiger Musik. Das kommt sehr gut an!
Tipps
• Alle drei Anspruchsgruppen bei der Musikauswahl berücksichtigen: Sie muss zum Betrieb passen, den Gästen gefallen, und die Mitarbeitenden müssen sich wohlfühlen.
• Legale Quellen nutzen und damit die künstlerische Leistung und das Werk der Künstler würdigen.
• Eher weniger Lautstärke als zu viel.
• Auf moderne Audiosysteme ohne Kabel setzen, da diese viel flexibler sind.
• Die Musik nicht dem Zufall überlassen: Oft werden im Gastgewerbe Tausende von Franken in Musikanlagen investiert, aber sehr viel weniger Aufmerksamkeit in Inhalte.
• Professionelle Lösungen sind heute keine Budgetfrage mehr. Ein eigenes Musikkonzept mit handgepickten Tracks startet bei 1500 Franken pro Jahr, standardisierte Playlist-Abos gibt es ab 14 Franken pro Monat.
★ Alexander Dal Farra
Alexander Dal Farra ist Gründer und Mitinhaber von DMD2 (Digital Media Distribution AG, vorher hotelradio.fm) in Kehrsatz BE, mit 13 Mitarbeitenden. Seit 20 Jahren bieten das Unternehmen Musiklösungen und kuratierte Playlists für alle Betriebsarten im Gastgewerbe an. Der 55-jährige Thuner Familienvater lernte Unterhaltungs-elektronikfachverkäufer, war Warenkundelehrer, baute später das erste Migros-Intranet auf, erfand das erste Internetshopping der Migros und absolvierte an der Fachhochschule Nordwestschweiz das Nachdiplomstudium Unternehmenskommunikation. Als er bei Sunrise das E-Business kennenlernte, realisierte er: «Dank Breitband-Internet kann jetzt jeder senden! Ich digitalisierte meine 2500 CDs, kaufte einen Server, so hat alles begonnen.» Seine allererste, selbst gekaufte LP war 1983 «The Getaway» von Chris de Burgh.