Acht offizielle Gänge umfasst das aktuelle Steirereck-Menü. Jeder Gang wird mit einem kleinen Blatt zusätzlich erklärt, etwa, dass die Wiener Küche die einzige weltweit ist, die einen Städtenamen trägt und vor mehr als 200 Jahren beim Wiener Kongress entstanden ist. Sie ist eine Frühform der Fusionsküche mit Spezialitäten aus Böhmen, Tschechien und Ungarn.
Nach dem Eintreffen der Gäste fährt Andy mit dem legendären Brotwagen vor und erklärt jedes einzelne Brot, das zur Auswahl steht. Das Blunsenbrot (aus Blutwurst) ist besonders schmackhaft. Dann folgen die Amuse bouches und mit dem ersten Gang die Handschrift von Chefkoch Michael Bauböck: Im Bienenwachs gegarter Saibling mit gekochten, marinierten gelben Rüben, Sauerrahm mit Cayenne und Limetten, «Kaviar-Pollen» mit Quittenessig und getrocknetem gelben Rüben-Succo sowie Basilikumkresse. Begeistert haben auch in Distelöl und Madeira geschmorte junge Artischocken mit Bergamotte marinierten Melonengurken und Zitronenmelisse.
Der erste Fleischhauptgang besteht aus einer am Knochen sanft gegarter Fasanenbrust mit Senfsaat, Dill und eingelegten Yaconwurzeln. Dazu wird eine Kartoffelsauerrahmsauce serviert. «Der Fasan gehört gestreichelt», erklärt Bauböck. Das zweite Fleischgericht bezaubert erneut: gebratener Hasenrücken mit weissem Mohn, gedämpftem Ornamentalkohl, Apfelpowidl, gedörrten Limetten, mit Mohnöl mariniertes Senfblatt und Hasenvelouté. Bauböck weiss: «Schon für Kaiser Franz wurde geschmorter Hasenvorlauf aufgetragen.»
Bauböcks Gänge überzeugen durch die Klarheit jedes Produkts, durch Frische und Reinheit mit einem starken Fokus auf Regionalität und Saisonalität – ohne die Bodenhaftigkeit zu verlieren.
Michael Bauböck, wir sind die ersten Gäste, die nach der Verleihung des dritten Michelin-Sterns im Steirereck in Wien tafeln. Wie hat sich diese Auszeichnung in den vergangenen Tagen auf den Betrieb ausgewirkt, in dem Sie seit September 2023 Küchenchef sind?
Michael Bauböck: Am Abend der Michelin-Zeremonie gab es noch keinen Unterschied. Aber am nächsten Morgen um 8 Uhr klingelten die Telefone, die E-Mail liefen über. In einem Betrieb unserer Grösse mit bis zu 110 Sitzplätzen und in der Küche 35 Lehrlingen braucht es nun Struktur. Wir bedienen aus einer Küche zwei Restaurants: das Steirereck und die Meierei. Es gibt keine separaten Teams. Jeder leistet seinen Beitrag.
Welche weiteren Reaktionen haben Sie erhalten?
Extrem viele Glückwünsche, aber auch Tischreservationen für die nächsten paar Tage und Wochen. Speziell donnerstags und freitags gibt es einen markanten Anstieg. Samstags und sonntags ist das Steirereck geschlossen.
Erhöhen Sie nun die Preise?
Darüber haben wir uns noch nicht unterhalten (Anmerkung der Redaktion: Michael Bauböck ist seit über einem Jahrzehnt treue rechte Hand von Patron Heinz Reitbauer). Sicher werden wir keine signifikanten Änderungen vornehmen und unsere Linie weiterhin verfolgen.
Als das Steirereck als erst zweites Restaurant in Österreich mit einem dritten Michelin-Stern geadelt wurde, sagten Sie auf der Bühne der Zeremonie, Sie wissen nicht, ob Sie lachen oder weinen sollten.
Ja, denn wir sind uns dieser Verantwortung bewusst. Eigentlich sehen wir uns gar nicht in dieser Riege. Klar, wir haben immer dafür gekämpft, den Geschmack dieses Landes und eine österreichische Küche zu kreieren. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Es ist grossartig, für unsere Leistungen und unser Engagement geehrt zu werden. Ohne unsere Lehrlinge wäre uns das nicht gelungen. Dazu kann ich nur allen Mitarbeitenden danken.
Was bedeutet der dritte Stern für Sie persönlich?
Er ist ein Ritterschlag für uns, eine grosse Ehre. Wir sehen das als weiteren Antrieb, noch präziser zu werden, an den Stellschrauben zu drehen. Nochmals: Es ist für uns alle eine grosse Freude – vom Lehrling bis zu den alten Hasen im Service.
Was erwarten Sie in nächster Zukunft?
Wir werden mehr Reservationen von einem internationalen Publikum erhalten. Dass nun Michelin wieder ganz Österreich bewertet, wird dafür sorgen, dass die Augen vermehrt auf die Kulinarik Österreichs gerichtet werden. Deshalb habe ich mich über jeden einzelnen Stern gefreut, den die Betriebe erhalten haben. Das wird für einen grossen Aufschwung in der österreichischen Gastronomie sorgen.
Wie einfach ist es, bei Ihnen einen Tisch zu bekommen?
Unter der Woche geht das mittags easy. Für einen Freitagabend sollte man besser zwei Wochen im Voraus reservieren. Absolut Hochsaison haben wir jeweils im Dezember. Dann erhalten unsere Mitarbeitenden keine Ferien. Wir arbeiten in dieser Zeit sechs Tage hintereinander.
Wie gehen Sie bei der Gestaltung der Karte vor?
Wir wechseln regelmässig und wollen am Zahn der Zeit und nach dem Takt der Saison die Menüs gestalten. Im Steirereck kreieren wir gegen 120 Gerichte pro Jahr. Geistig sind wir jetzt schon daran, uns mit Frühlingsprodukten auseinanderzusetzen. Wir haben einen eigenen Wochenkalender, der sich bis zu vier Wochen gegenüber dem Kalender nach vorne schiebt. Jetzt denken wir über Eierschwammerl, Spargeln, Erdbeeren und Holunder. Für Spargeln fahren wir zu einem Produzenten, der sich eine halbe Stunde von unserem Restaurant entfernt befindet. Das Produkt quietscht und ist so frisch.
Sie sprechen die Frische an. Wie schaffen Sie es, dass bei Ihrem Gang mit den Gurkenmelonen diese so intensiv im Geschmack sind?
Wir geben eine Marinade aus Bergamotte in ein Vakuumierungsgerät rein. Die Gurken saugen sich mit dem Bergamottemark voll. Ich spiele gerne mit Bitternoten und Süssem oder mit warm und kalt. Diese Abwechslung sorgt für ein tolles Mundgefühl.
Über Wien wird gesagt, dass es weltweit die einzige Hauptstadt mit einem eigenen Speisestil ist - Wiener Schnitzel, Tafelspitz oder Kaiserschmarren sind Beispiele dafür. Was ist für Sie Wiener Küche?
Für mich hat das vor allem mit Aromen zu tun, von denen es so viele gibt. Wir sind ein Binnenland. Durch Kriege und Pendler hat sich in dieser Stadt so viel vermischt. Und durch die Türkenbelagerung kamen wir etwa zu unseren Vanillekipferl, aus Böhmen kamen Mehlspeisen wie Palatschinken und Marillenknödel nach Wien, das Gulasch stammt aus Ungarn. All das macht die Spannung aus. Wenn ich in Wien auswärts essen gehe, mache ich das bunt gemischt: von Streetfood bis zu einer Ramen-Bowl.