Die Gemeinde Grossdietwil ist nicht unbedingt das, was man in der Schweiz als einen Hotspot bezeichnen würde. Auf halber Strecke zwischen Langenthal BE und Willisau LU gelegen, regiert im kleinen Ort das ruhige Leben. «Zentral (ab)gelegen», schreibt die Gemeinde augenzwinkernd auf ihrer Website. Nichts deutet darauf hin, dass an diesem Ort im Luzerner Hinterland eine der längsten Gastrodynastien der Schweiz ihre Heimat hat. Mitten im Dorf, im Gasthaus Löwen, wirtet seit über 200 Jahren die gleiche Familie: Die Familie Zettel.
Seit 1998 führen Sandra und Philipp Zettel den Familienbetrieb – notabene in der achten Generation. «Für uns ist es ein schönes Gefühl, diese Familientradition weiterzuführen», sagt Sandra, welche neben ihrer Gastgeberrolle im Löwen als Co-Präsidentin von GastroLuzern amtet.
Löwen lebt von Tradition
Die Weiterführung der Familientradition sei zu Beginn mit viel Druck verbunden gewesen, erinnert sich Philipp Zettel. «Meine Eltern hatten das Haus sehr lange erfolgreich geführt. Die Erwartungen der Gäste und meiner Eltern waren bei unserer Übernahme dementsprechend sehr hoch.» Es habe auch Zweifel an der neuen Generation gegeben. «Vielleicht waren die Zweifel auch ein bisschen berechtigt, schliesslich waren wir sehr jung.» Für die beiden sei aber von Anfang an klar gewesen, dass sie mit dem Betrieb ihren eigenen Weg gehen wollten. «Es hat daher ab und zu mal ein Machtwort gebraucht», sagt Philipp Zettel.
Der eigene Weg der Zettels baut auf der Tradition des Hauses auf. «Es ist uns sehr wichtig, dass wir die Geschichte, welche dieses Haus hat, erhalten», betont Sandra. Dies wird beim Betreten der Gaststube und des Löwensälis spürbar. Die mit Holz eingekleideten Räume mit den Familienporträts an den Wänden, dem Kachelofen und dem Holzparkett geben dem Gast das Gefühl einer Reise zurück in Gotthelfs Zeiten. Wären da nicht die mit weissen Tischtüchern bedeckten Eichentische in der Gaststube, könnte man meinen, man wäre zu Besuch in Grossmutters Stube.
«Dieses Gefühl, sich in einer Stube zu befinden, wird von allen Gästen sehr geschätzt», erzählt die Chefin mit leuchtenden Augen. Für viele sei ein Besuch im Löwen ein Nachhausekommen. «Sie lassen sich in der Stube nieder und fühlen sich Zuhause. Das finde ich als Gastgeberin sehr schön, denn das zeigt mir, dass sich der Gast bei uns Zuhause fühlt.»
Dieses Gefühl ist, wie das Haus, über Generationen weitergegeben worden. «Wir haben sehr viele Stammgäste, von welchen die Kinder und deren Kinder mittlerweile Stammgäste bei uns sind», sagt Sandra Zettel. 70 Prozent ihrer Gäste sind Stammgäste. «Wie eine grosse Familie», schwärmt Sandra. Dazu kommen neben Bauarbeitern und Handwerkern auch viele ältere Menschen, welche beinahe täglich im Löwen einkehren. «Damit erfüllen wir auch eine soziale Komponente für das Dorf und die Region», sagt Philipp. Denn: der Löwen ist im Dorf inzwischen das einzige Restaurant.
Tradition und Moderne vereint
Dass er vom Restaurantsterben auf dem Land bislang verschont geblieben ist, hat für das Gastgeberpaar mehrere Gründe «Die Tradition hilft sicher. Der Löwen ist weitherum bekannt und ist über Generationen hinweg in den Köpfen der Menschen veranktert. Daneben sind wir in der Region eines der letzten Restaurants, welches noch einen Saal hat. So können Generalversammlungen, Traueressen oder Feiern bei uns stattfinden», zählt Sandra auf.
Aller Tradition zum Trotz hat sich der Löwen seit der Übernahme durch die aktuelle Zettel-Generation verändert. So beherbergt das Haus eine Lounge, welche für Sitzungen, Aperitifs oder auch fürs Zigarrenrauchen genutzt werden kann.
Die grösste Annährerung von Tradition und Moderne findet sich jedoch auf der Speisekarte. Traditionelle Gerichte wie beispielsweise Rösti mit Kalbsgeschnetzeltem oder Rinds-Entrecôte mit Pommes frites und Gemüse sind zwar nach wie vor Dauerbrenner auf der Karte, jedoch ist die Gerichtevielfalt gewachsen. «Wir haben mehr vegetarische Gerichte auf der Karte und bieten auf unseren Saisonkarten auch modernere, experimentierfreudigere Gerichte an», sagt Küchenchef Philipp.
So seien Gerichte mit Meeresfrüchten bei den Gästen sehr beliebt, obwohl viele zu Beginn skeptisch gewesen seien. «Die Gäste sind aber bereit, neue Gerichte auszuprobieren, solange sie die Wahl haben», so Philipp. Übertreiben dürfe er es mit dem Experimentieren nicht. «Es ist eine stetige Gratwanderung. Die Gäste schätzen nach wie vor die gutbürgerlichen, traditionellen und saisonalen Gerichte, wie sie im Löwen seit vielen Jahrzehnten gekocht werden.»
Das Ende einer Dynastie
Auch beim Personal hat sich der Löwen der Zeit angepasst. Der Betrieb hat zehn Mitarbeitende, welche alle seit vielen Jahren dem Betrieb die Treue halten. Das Erfolgsrezept? «Man muss den Mitarbeitenden zuhören, ihre Probleme und Sorgen ernst nehmen und ihnen auch entgegenkommen», sagt Sandra. Dazu gehören beispielsweise freie Tage oder eine offene Diskussion im Team über die Öffnungszeiten. «Man muss den Mut haben, auch mal etwas zu verändern», sagt sie überzeugt.
Eine Veränderung wird es irgendwann auch bei der Führung des Löwen geben. Bereits jetzt ist klar: die Familiendynastie wird enden. Das Gastgeberpaar Zettel hat keine Nachkommen und aus der Familie will niemand übernehmen. «Wir wünschen uns daher, dass wir, wenn es soweit ist, jemanden finden, der diesen Traditionsbetrieb mit dem gleichen Herzblut und der gleichen Leidenschaft weiterführen wird. So, wie wir es tun», so die Gastgeberin. Es wäre ihnen und der Familie Zettel von Herzen gegönnt.