Valentin Diem, die Medien bezeichnen Sie als Zürichs Pop-up-König. Tatsächlich umfasst die Bauernschänke AG aber vor allem Restaurants. Wie viele Angestellte haben Sie und Nenad Mlinarevic insgesamt?
Valentin Diem: Das schwankt saisonal. Im Schnitt sind es 130. Ich bin vor 14 Jahren als Ein-Mann-Unternehmen gestartet. Seither ist alles organisch gewachsen.
Heute sind Sie Unternehmer. Was raten Sie Ihren Berufskollegen?
Valentin Diem: Man muss sich gut überlegen, ob man sich selbstständig machen möchte. Wenn man einen Betrieb oder zwei Betriebe hat, stellt sich schnell die Frage nach der richtigen Betriebsgrösse. Ich habe nicht viele Gastronomen getroffen, die von sich gesagt haben, sie hätten die richtige Grösse erreicht. Es ist schwierig, die Balance zu finden.
Was meinen Sie damit?
Valentin Diem: Jede Betriebsgrösse hat ihre Herausforderungen. Bei zwei Restaurants wünscht man sich jemanden, der beispielsweise das Marketing und das HR erledigt. So kommt es vermehrt zu Stabsstellen. Ab einem gewissen Moment kennt man nicht mehr alle Mitarbeitenden mit Namen, was leider auch mit der Fluktuation in unserer Branche zu tun hat. Damit tue ich mich schwer. Nenad wird erst um 14 Uhr zu diesem Interview stossen, weil er noch am Kochen ist, und somit an der Front. Ich bin irgendwann zum Unternehmer mit Managementaufgaben geworden. Das mache ich gern, aber ich mag auch die Vielfalt. Nur im Büro sitzen würde mich nicht erfüllen.
Haben Sie mit den Betrieben der vor sieben Jahren gegründeten Bauernschänke AG die richtige Grösse erreicht?
Valentin Diem: Grösser ist nicht besser. Manchmal ist es passend, nur ein Restaurant zu haben, das gut geführt ist und die Möglichkeit bietet, inhaltlich in die Tiefe zu gehen. Wir haben den Anspruch, mit jedem Projekt die Szene und die Gastrokultur von Zürich und der Schweiz mitzugestalten. Wir möchten nicht einfach grösser werden. Jeder unserer Betriebe hat eine spezielle Rolle. Die Neue Taverne beispielsweise steht für Gemüsegerichte, wie sie vorher noch niemand angeboten hat. Mit der Brasserie Süd bieten wir Bahnhofsgastronomie auf einem kulinarisch hochwertigen Niveau an. Solche Vorzeigebetriebe treiben mich an.
Wo sehen Sie in der Gastroszene Lücken?
Valentin Diem: Bedarf gibt es beispielsweise aus meiner Sicht bei Ethnokonzepten. Es fehlen gute mexikanische, äthiopische oder georgische Restaurants. Ich reise sehr gern und viel. Meine Reise nach Georgien hat mich inspiriert und mir einmal mehr verdeutlicht, wie vielfältig kulinarische Kulturen sein können und wie wenig dieser Vielfalt in der Schweiz abgebildet wird. Es gibt erste Ansätze und Pioniere wie das Gül oder Ottolenghi mit seinem Ableger in Genf. Aber weshalb gibt es so wenige Restaurants, die zum Beispiel die Küche von Ländern aus Ex-Jugoslawien abbilden? Ich brenne für die unterschiedlichsten Küchen dieser Welt!
Seit 2018 ist Nenad Mlinarevic Ihr Geschäftspartner in Zürich. Wie stimmen Sie sich ab?
Valentin Diem: Nenad ist zuständig für das Kulinarische, ich für die Zahlen. Es ist aber nicht so, dass ich bei der Menügestaltung in den Restaurants nicht mitreden kann. Wir lassen uns viel Freiraum. Gastronomie ist eine Teamleistung. Es müssen so viele Zahnräder ineinandergreifen.
Jetzt ist Nenad Mlinarevic vom Kochherd zum Interview in der Brasserie Süd dazugestossen. Was sind Ihre aktuellen Projekte?
Nenad Mlinarevic: Im November 2024 kam mein Kochbuch raus mit einfachen Rezepten zum Nachkochen. Ich habe eine Partnerschaft mit Miele und Events, und ich engagiere mich bei Masterchef, wozu mich Andreas Caminada angefragt hat. Nach meiner Lehre im Waldhaus Dolder in Zürich arbeitete ich mit ihm zwei Jahre als Souschef im Schloss Schauenstein.
Weshalb engagieren Sie sich als Juror für Masterchef?
Nenad Mlinarevic: Es ist für mich als Profi interessant zu sehen, wie Hobbyküche sich teils tagelang für ein Abendessen vorbereiten. Das sind die Dinge, die ich nebenbei mache. Sie sehen: Wir sind frei in unserem Tun. Wichtig ist gegenseitiges Vertrauen. Wir informieren uns, wenn wir etwas Neues umsetzen. Entscheidend ist, dass unsere gemeinsamen Projekte nicht darunter leiden.
Mit dem Restaurant Counter im Zürcher Hauptbahnhof und dem dortigen Chefkoch Mitja Birlo haben Sie einen Betrieb in der Spitzengastronomie. Wie sind Sie organisiert?
Valentin Diem: Mitja ist unser Mitarbeiter. Wir haben vollstes Vertrauen in seine Arbeit. Er führt sein Team autonom, wir managen die Prozesse im Hintergrund. Er kocht und betreibt den Counter, als wäre es sein eigener Betrieb. Mitja macht das hervorragend.
Wo sehen Sie die grössten betrieblichen Herausforderungen in der Bauernschänke AG?
Valentin Diem: Davon gibt es unendlich viele. Nach dem Rekordjahr 2023 mussten wir 2024 einen Umsatzrückgang von rund zehn Prozent hinnehmen. Das ist ebenso ein Thema, wie die besten Talente zu finden.
Nenad Mlinarevic: Die Gäste trinken weniger und sind beim Essen preissensibler geworden. Wir können keine Jahresplanung mehr aufstellen und glauben, es sei so wie früher. Es braucht tägliche Reports, die wir immer wieder anpassen müssen, weil sich das Gästeverhalten verändert. Die neue Generation ist nicht mehr so weinaffin.
Valentin Diem: Vielleicht braucht es jetzt deshalb eine Salatbar (lacht), denn es gibt einen Trend zu Gesundheit und Langlebigkeit.
Heisst das, dass bei den Gästen das Geld nicht mehr so locker sitzt?
Valentin Diem: Es gibt Gäste, bei denen sitzt es nach wie vor locker. Aber im Schnitt wird weniger ausgegeben. Dennoch ist in unseren Betrieben Champagner der Topseller beim Wein. Der Absatz ist explodiert. Und Januar und Februar 2025 liefen bei uns sehr gut, trotz Skiferien. Es gibt Top-Tage und verhaltene Tage. Niemand weiss so recht wieso.
Nenad Mlinarevic: Wir müssen das Angebot permanent hinterfragen und gegebenenfalls anpassen. Wir versuchen, unsere Restaurants mit einem attraktiven Angebot auch mittags auszulasten und bieten beispielsweise in der Bauernschänke unseren Bentobox-Lunch für 39 Franken an. Das funktioniert sehr gut.
Wie teilen Sie sich Ihre Arbeit auf, Nenad Mlinarevic?
Nenad Mlinarevic: Im Neumarkt übernimmt Michael Poredos als Küchenchef der italienisch-japanischen Cucina Itameshi. Das gibt mir die Freiheit, ab Mai einen Tag in der Brasserie Süd zu arbeiten und Anpassungen vorzunehmen. Wir haben seit der Eröffnung der Brasserie im Hauptbahnhof vor über einem Jahr viel gelernt.
Was muss besser werden?
Nenad Mlinarevic: Das Team ist top. Aber wir haben das Potenzial noch nicht ausgeschöpft, die Saisonalität unterschätzt. Wenn es sonnig und warm ist, haben wir viel weniger Gäste. Das müssen wir bei der Planung berücksichtigen und deshalb die Terrasse bei der Brasserie Süd ausbauen, auf knapp 100 Aussenplätze mit mehr Pflanzen, die für Schatten sorgen. Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass ich bei den neuen Restaurants von Anfang an mitarbeite. Erst dann sehe ich die Herausforderungen und weiss, was es braucht, diese zu lösen.
Valentin Diem: Weil wir in der Brasserie Süd 365 Tage pro Jahr geöffnet haben, wollen wir diese mit saisonalen Events wie Sechseläuten, Ostern oder Weihnachten bespielen und das Brunchangebot am Wochenende ausbauen. Zu den Brunchzeiten möchten wir in der Da-Capo-Bar ein Kinderkino anbieten. Wir werden sehen, wie das funktioniert.
Unternehmerisch geniessen Sie mit Nenad Mlinarevic gegenseitiges Vertrauen und die Freiheit, Projekte ausserhalb der Bauernschänke AG zu realisieren. Die Rede ist von einer Expansion nach Bern. Was können Sie verraten?
Valentin Diem: Ja, ich realisiere in Bern ein spannendes Projekt mit meinem weiteren Geschäftspartner Patrick Schindler, mit dem ich bereits das Pop-up-Restaurant Soi Thai in Zürich betreibe, sowie mit Severin Aegerter, Inhaber der Weinhandlung Cultivino.
Was darf Bern erwarten?
Valentin Diem: Viel. Wir werden ab Frühling 2026 die Gastronomie des Neuen Kaiserhauses bespielen. Dieses soll zum neuen Begegnungsort in Bern werden. Es gibt eine Brasserie mit eigener Bäckerei, einfache Gerichte, handwerklich umgesetzt, direkt am Bundesplatz im Gebäude der Schweizerischen Nationalbank. Wir bauen ein Netzwerk mit Bauern im Emmental auf, die für unsere Bedürfnisse anpflanzen. Wir werden ganze Tiere verwenden und wollen Standards neu definieren.
Sie engagieren sich als Vorstandsmitglied von Gastro Stadt Zürich. Wieso?
Valentin Diem: Zürich hat eine heterogene Gastronomiekultur. Ich setze mich dafür ein, einen Teil dieser Vielfalt abzubilden und gute Voraussetzungen für alle zu schaffen. Dazu gehören die Bewilligungspraxis bei den Behörden, die Nachwuchs- oder die Imagepflege des Verbands. Irgendjemand muss das machen. Ich brenne für die Gastronomie.
Nenad Mlinarevic: Vale bringt frische Inputs. Wir haben die Bauernschänke 2018 eröffnet. Seither ist so viel passiert mit Cafés, Bäckereien und Gastrobetrieben. Früher haben grosse Gastrobetriebe die Branche dominiert. Jetzt sorgen so viele Jungköche für mächtig Gas.
Valentin Diem: Zürich ist allerdings ein schwieriger Ort, denn es braucht viel Zeit, Geld und Nerven. Ein neues Restaurant in der Altstadt zu bauen, ist gar nicht mehr möglich, weil so viele Vorschriften zu Hygiene, Denkmalschutz und Lüftungen bestehen. Wichtig ist, dass wir gute Voraussetzungen schaffen, damit auch junge Gastronomen etwas ausprobieren und realisieren können.
Nenad Mlinarevic gehörte zu diesen Jungen in der Spitzengastronomie. Sie sagten, es würde sie nicht mehr erfüllen, nur für 20 Gäste zu kochen. Sie seien happy, für 100 kochen zu können.
Nenad Mlinarevic: Ja, jetzt bewege ich mich in einer anderen Art von Gastronomie, wo nicht mehr alles planbar und durchgetaktet ist. Ich habe 15 Jahre in Sterneläden gearbeitet. Ich wollte meine Küche aber für alle zugänglich machen und nicht nur für jene mit dickem Portemonnaie. Die Dynamik in unseren Restaurants erfüllt mich stärker. Ich schätze die Abwechslung und mag es, immer wieder neue Konzepte zu realisieren. Was ich hier in einer Woche erlebe, erleben andere in einem halben Jahr! Ich bin ein Typ, der den Adrenalinkick braucht. Ich liebe meinen Job wie damals, als ich 1997 erstmal in einer Küche stand. Ich würde nie was anderes machen wollen.
Was ist es, was Sie so sehr begeistert?
Nenad Mlinarevic: Die Dynamik in einem grossen Team. Das Kreative. Gäste mit gutem Essen glücklich machen. Ich bin gerne in Bewegung und arbeite gerne mit den Händen. Ich könnte keinen Bürojob erledigen und hatte schon in der Schule Mühe, ruhig sitzen zu müssen. Beim Kochen bin ich immer in Bewegung.