Camila Moreno, Sie besuchen für einen Monat die Schweiz, um das Schweizer Bildungssystem kennenzulernen. Wie kam es dazu?
Camila Moreno: Das hängt alles mit der Stiftung Social Gastronomy Movement (SGM) zusammen. Mit diesem Projekt versuchen wir, mittels Gastronomie die soziale Ungleichheit in Entwicklungsländern zu bekämpfen und den Menschen vor Ort eine berufliche Chance zu geben. Die Fundación Gastronomía Social, bei der ich arbeite, ist Teil dieses Projektes. Letztes Jahr fand ein grosses Treffen aller Stiftungen in der Schweiz statt und ich bat Andreas Handke mir die Allgemeine Berufsschule Zürich (ABZ) zu zeigen. Ich war sofort begeistert und wollte die Ausbildung unbedingt besser kennenlernen. Andi setzte darauf alle Hebel in Bewegung, damit dieser Aufenthalt klappt. Dank ihm und der finanziellen Unterstützung der Mustakis Foundation bin ich hier.
Warum wollen Sie das duale Schweizer Bildungssystem besser kennenlernen?
Weil es für mich das beste Ausbildungssystem ist, dass ich auf der ganzen Welt kennenlernen durfte. Ich war bereits in Frankreich, Deutschland und in Spanien aber nirgends ist die Ausbildung so gut wie in der Schweiz. Die Kombination aus Berufsschule und Arbeit im Betrieb funktioniert hier sehr gut. Das beeindruckt mich sehr.
Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?
Dass die Ausbildung hier so reibungslos funktioniert und alle die gleichen Chancen haben. Die Lehrerinnen und Lehrer sind sehr gut ausgebildet und geben ihr Wissen an die jungen Menschen weiter. Gleichzeitig werden die Auszubildenden in der echten Arbeitswelt von Profis ausgebildet. Es ist ein System, das die jungen Menschen perfekt auf die Arbeitswelt vorbereitet.
Inwiefern unterscheidet sich das Schweizer vom chilenischen Ausbildungssystem?
In Chile gab es in den 1980er- und 90er-Jahre bereits Bemühungen ein duales Ausbildungssystem nach dem Vorbild in Deutschland oder Frankreich aufzubauen. Allerdings ist dieses Vorhaben gescheitert. In Chile bietet nur rund ein Viertel aller Berufsschulen einen dualen Weg an und dieser unterscheidet sich diametral vom Schweizer Weg.
Worin zeigt sich das?
Man muss verstehen, dass in Chile die Chancengleichheiten bei der Ausbildung nicht dieselben sind wie in der Schweiz. Bildung ist stark von der gesellschaftlichen Stellung abhängig. Das heisst, dass Familien, die mehr Geld haben, ihren Kindern eine bessere Ausbildung geben können als solche, die wenig oder kein Geld haben. Viele junge Menschen aus ärmeren Verhältnissen bekommen dadurch kaum oder keine Ausbildung, was wieder Auswirkungen auf ihre Kinder hat. Es ist ein Teufelskreis.
Was heisst das in Bezug auf die Ausbildung in der Gastronomie?
In der Regel fällt die Ausbildung kürzer aus. Die Auszubildenden sind nur zwei Tage pro Woche im Betrieb und den Rest der Zeit verbringen sie in der Schule. Die Praxis kommt viel zu kurz. Die Auszubildenden erhalten nur etwa 300 Stunden Praktikum. Wenn sie Glück haben, finden sie danach ein Restaurant, dass sie als Köchin oder als Koch aufnimmt. Hinzu kommt, dass die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen schlecht ausgebildet sind. Sie wissen zwar, wie man kocht, ihnen fehlen aber die pädagogischen Fähigkeiten, um dieses Wissen den jungen Menschen zu vermitteln. Ein grosses Problem ist zudem die Infrastruktur. In vielen Schulen sind die Küchen veraltet oder funktionieren nicht richtig und es fehlt an essenziellen Geräten wie beispielsweise Öfen. Es ist zudem oft der Fall, dass die Schülerinnen und Schüler die Lebensmittel selbst in die Schule mitbringen müssen, weil die Schule kein Geld dafür hat. Wenn jemandem eine Zutat, zum Beispiel Butter, fehlt, hat er oder sie meistens Pech gehabt.
Wie wollen Sie die Ausbildung in Chile verbessern?
Vieles machen wir bereits. Wir organisieren Bootcamps, wo wir jungen Menschen aus benachteiligten Verhältnissen beispielsweise zeigen, wie der Service in einem Restaurant funktioniert oder wie man in der Küche auf Hygiene achtet. Unser Ziel ist es, mit 240 Schulen in Chile zusammenzuarbeiten, um einen Ausbildungsstandard in diesen Schulen zu gewährleisten. Dabei werden wir regelmässig von prominenten Köchinnen und Köchen unterstützt, wie beispielsweise Manoella Buffara, die 2021 und 2022 zu den 50 besten Köchinnen in Lateinamerika gehörte.
Wie kann das Schweizer Bildungssystem bei der Ausbildung in Chile helfen?
Der Schweizer Weg kann uns als Vorbild dienen. Es ist uns klar, dass wir das System nicht innerhalb von kürzester Zeit 1:1 in Chile umsetzten werden können. Ich bin davon überzeugt, dass es uns dabei helfen wird, Grundstrukturen aufzubauen, Abläufe zu implementieren und einen Standard in der Ausbildung zu erreichen. Das braucht aber viel Zeit. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Was steht für Sie im kommenden Monat auf dem Programm? Welche Elemente aus dem Schweizer Bildungssystem werden Sie sich ansehen?
Ich hoffe, alle! (lacht) Ich werde sicher einen vertieften Einblick in die Schule und die Betriebe der Stadt Zürich erhalten. Zusammen mit Andi werde ich zudem das Programm Roast&Host, welches seit letztem Jahr in der Stadt Zürich läuft, näher kennenlernen. Ich bin schon sehr gespannt darauf, was mich alles erwartet.