Anika Aufdermauer, viele finden keine passenden Mitarbeitenden. Sie hingegen haben beinahe zu viele?
Anika Aufdermauer: Ja, seit rund drei Monaten müssen wir viele Direktbewerber abweisen. Wir haben seit unserem Start im Jahr 2022 einen guten Ruf – auch als Arbeitgeber. Bei uns stehen die Mitarbeitenden im Fokus, wir machen sehr viel für sie. Und wir leben neue Arbeitsmodelle, die aber wirtschaftlich für den Betrieb stimmen müssen. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer offen sind und im Austausch stehen, funktionieren sie auch.
Welche Arbeitsmodelle bieten Sie an?
Wir suchen Mitarbeitende mit Potenzial und schaffen dann die Stelle für sie. Wird eine Mitarbeitende schwanger, versuchen wir, für sie zukünftig eine Stelle zu generieren. Wir funktionieren bei der Stellenaufteilung sehr hybrid. Braucht der Küchenchef Unterstützung, hilft ihm der Chef de Service bei der Kartengestaltung. Mal braucht es eine zusätzliche Hand am Pass. Wir setzen Mitarbeitende flexibel in verschiedenen Abteilungen ein und richten unsere Aufgaben immer wieder neu aus. So entsteht der Teamgedanke, das gegenseitige Verständnis wird gefördert und es wird nie langweilig.
Wie sieht es bei Ihnen mit der unbeliebten Zimmerstunde aus?
Wir haben beides, Dienst mit und ohne Zimmerstunde. Es gibt jene, die die Zimmerstunde lieben! Und andere, die gerne am Wochenende arbeiten. Es ist möglich, alle zufriedenstellen. Meine erste Frage bei Bewerbungen lautet: Was wünscht du dir von uns, was du woanders nicht gefunden hast? Dann weiss ich, ob ich dies erfüllen kann. Meistens passt es.
Die Fluktuation in der Branche ist hoch. Wie schaffen Sie es, die Mitarbeitenden langfristig zu halten?
Wir zahlen faire Löhne, weit über dem Mindestlohn. Klar, wir erwarten dafür auch eine Leistung. Ich habe die Gabe, Menschen gut einschätzen zu können und sie an den Platz zu begleiten, wo sie sich wohlfühlen und Spass haben. Das liegt mir am Herzen! Mitarbeitende brauchen Wertschätzung und müssen gefördert werden. Man darf sich auch Fehler leisten. Nein, man muss die Fehlerkultur leben! Daraus kann man nur lernen. Wir haben auch kaum Krankheitsfälle oder Absenzen.
Nach dem Prinzip: Wer gerne zur Arbeit kommt, überträgt dies auf die Gäste?
Ja, ich möchte Menschen im Unternehmen haben, die stolz auf unsere Branche sind! Zudem fällen wir die meisten Entscheidungen als Team, etwa was angeschafft oder umgesetzt wird. Die Mitarbeitenden müssen dahinterstehen können, was sie dem Gast verkaufen. Wir sagen lieber Tische ab, wenn wir sehen, dass wir die Service- und Küchenqualität nicht liefern können. Möchte jemand trotzdem reservieren, kommunizieren wir, dass wir grosse Gruppen haben und es zu Wartezeiten kommen kann.
Ist die Kommunikation eine unterschätzte Disziplin?
Definitiv, auch intern. Oft ist es die fehlende Erklärung, die den Mitarbeitenden zu schaffen macht, nicht die Erklärung selbst. Wir arbeiten auch mit einer Betriebs- und Mitarbeitercoach zusammen. Fast ein Jahr lang waren wir mit den Führungskräften einmal wöchentlich bei ihr, und einmal jährlich macht sie mit uns eine Teamweiterbildung. Sie ist auch auf Frauenförderung spezialisiert – über
80 Prozent unserer Mitarbeitenden sind Frauen.
Die Frauenförderung liegt Ihnen am Herzen.
Ja, sehr! Es ist doch so: Bekommt man für die Besetzung einer Kaderstelle von der Personalvermittlung einen Stapel Bewerbungen liegen jene von Frauen mittleren Alters und mit Kind ganz weit unten. Durch diese pauschale Ablehnung geht viel Know-how verloren. Kaum jemand überlegt sich, dass sich zwei Frauen die Kaderstelle teilen könnten. Was Frauen in Führungspositionen noch stärker lernen müssen, ist, zu delegieren. Männer machen das permanent. Sogar Frauen können sich nicht zehnteilen (lacht).
Haben Sie auch Lernende?
Uns laufen auch die Lernenden zu … Wir befinden uns aktuell im Anmeldeprozess zum Lehrbetrieb, damit wir ab Frühjahr Lernende ausbilden dürfen. Durch die Zusammenarbeit mit der Sek eins Höfe kommen viele Schnuppernde im Rahmen des nationalen Jugendprojekts Lift jeweils am Mittwochnachmittag während dreier Monate zu uns für ein Praktikum. Es ist schön zu sehen, wie sie aufblühen!
Sie wurden nicht als Chefin geboren – was war das Wichtigste, das Sie als Mitarbeitende gelernt haben?
Es gibt tatsächlich einen Schlüsselmoment. Ich habe lange in der Marina in Lachen SZ gearbeitet und hatte dort eine sehr gute Chefin. Sie sagte: «Anika, du darfst nicht von dir auf andere Menschen schliessen. Was du kannst, kann jemand anders nicht, und umgekehrt.» Dies ist eines der wichtigsten Instrumente im Team, um Stärken und Schwächen auszugleichen. Einige hassen Bankette, andere lieben sie. Das kann man doch berücksichtigen!
Was treibt Sie jeden Tag aufs Neue an?
Das Feedback der Gäste und der Mitarbeitenden. Offenes Feedback – auch wenn es unangenehm ist. Das findet in unserer Gesellschaft viel zu selten Platz. Ich hätte diesbezüglich einen Wunsch an unseren Branchenverband …
Wie lautet dieser?
Schulungen spezifisch für Frauen, die Aufklärungen zur beruflichen Vereinbarkeit von Karriere, Familie und Kind sowie Altersvorsorge beinhalten. Ich sehe oft, dass viele junge Frauen diesbezüglich absolut unwissend sind. Erst, wenn sie schwanger werden, setzen sie sich mit diesen Themen auseinander. Und staunen, wie schnell sie wieder arbeiten müssen, um finanziell existieren zu können. Das ist ein Riesenthema! Ich kann dies in meinem eigenen Unternehmen machen, aber ich wünsche mir dies grösser und nationaler. Die Schweiz ist so toll, aber bezüglich beruflicher Vereinbarkeit von Karriere und Kind hinkt sie unglaublich hinterher. Frauen sollten die Möglichkeit haben, unabhängig von Männern ihr Leben gestalten zu dürfen.
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Anika Aufdermauer, Wirtin im Restaurant Verenahof in Wollerau SZ
Kurz vor 12 Uhr: Die Wirtin Anika Aufdermauer (35) begrüsst die ersten Gäste. Innert Kürze wird jeder Stuhl im eleganten, mit viel Holz gestalteten Restaurant Verenahof in Wollerau SZ besetzt sein. Die gutbürgerliche, saisonale Küche hat viele Fans in der Region, auch viele Vereine kehren hier ein. Seit 2022 führt die Saarländerin den Betrieb mit je 80 Plätzen innen und aussen, plus 2 Sälen – unddie 18 Mi tarbeitenden. Aufdermauer ist gelernte Hotelfachfrau und Sommelière. Sie lebt seit 2008 in der Schweiz, arbeitete im Stäfel in Hoch-Ybrig SZ, in der Marina Lachen SZ sowie im Gasthof Seefeld in Hurden SZ, der von ihrem Mann Thomas Aufdermauer (42) geleitet wird.