«Als ich nach Crans-Montana kam, wollte ich eigentlich nur für eine Skisaison bleiben», erzählt Franck Reynaud (54), der 1991 in der Ferienregion landete. Es war der erste Besuch des jungen Franzosen in der Schweiz. Nachdem er die Hotelfachschule abgeschlossen und in grossen Häusern in Frankreich gearbeitet hatte, wollte er etwas Zeit in den Bergen verbringen und machte sich ohne ernsthafte Pläne auf den Weg ins Wallis.
Dort lernt er seine zukünftige Frau Séverine Bestenheider kennen, die Tochter der Besitzer des Hotels Aïda, das die Eltern des jungen Franck regelmässig für ihre kinderlosen Ferien besuchten. Von da an ging alles Schlag auf Schlag. Seine geplante Skisaison wurde verlängert und 1994, im Alter von 24 Jahren, übernahm der französische Koch mit seiner Lebensgefährtin die zwei Fünfsternehäuser Hostellerie du Pas de l’Ours und später das Hotel Aïda.
Das Pas de l’Ours strahlt mit seinem authentischen Interieur eine besondere Atmosphäre aus. Das mit Holzbalken und mit zusammengetragenen Elementen aus alten Chalets renovierte Haus vermischt Gemütlichkeit, Tradition und Luxus, das Gourmetrestaurant L’Ours hat einen Michelin-Stern und 18 GaultMillau-Punkte. Mit dem Hotel Aïda verfügen Franck und Séverine über eine «Adults-only»-Alternative ganz im Sinn von Charles Baudelaires Zitat «Luxus, Ruhe und Genuss». Doch das reicht dem Wahlwalliser nicht: Er fügt seinem Instrument 2011 eine dritte Saite hinzu.
Der Traum zweier Freunde
«Wenn ich mit meinem Freund und Bergführer Pierre-Olivier Bagnoud in die Berge gehe, kehren wir zum Essen in Hütten ein. Wir sind beide Geniesser. Vor 2011 diskutierten wir jedes Mal, was wir tun würden, wenn wir selbst am Steuer sitzen würden», erzählt Franck Reynaud.
Als er die Gelegenheit bekam, die Cabane des Violettes zu übernehmen, verwirklichte er den Traum, den er mit seinem Freund teilte, und schlug ihm vor, das neue Lokal gemeinsam zu führen. «Es ist immer komplex, sich mit jemandem geschäftlich zu verbinden. Aber bei Pierre-Olivier hatte ich keine Zweifel. Probleme entstehen in Krisenzeiten, und wenn ich sehe, wie er Krisen in den Bergen bewältigt, weiss ich, dass wir sie auch in der Hütte meistern werden.»
Fernab von schillerndem Luxus wollten die beiden Partner in ihrem neuen, alpinen Schmuckkästchen allen Gästen warme Gerichte anbieten. Heute treffen sich in der Cabane des Violettes Stars, Wanderer, Familien und Skifahrer aus aller Welt, die in einer familiären Atmosphäre einfache und erschwingliche Gerichte essen.
«Das Wichtigste beim Essen ist nicht, den Gästen zu imponieren, sondern die Absicht des Gastgebers: Freude zu bereiten», so Reynaud. «Ich versuche, jedem Gast einen einzigartigen Moment zu schaffen, sei es in der Einfachheit der Cabane des Violettes oder im L’Ours, unabhängig vom Preis. Übrigens steigern wir ständig den Komfort, aber nicht die Preise.» Die Nähe zu den Skiliften erleichtert die Arbeit der beiden Bergler, die im Gegensatz zu vielen anderen Hütten auf die Versorgung mit Helikoptern verzichten und frische Produkte aus der Region verwenden können.
«Unsere Rolle hat sich verändert»
Wenn Franck Reynaud die Speisekarten für seine Lokale erstellt, versucht er vor allem, von seiner Region zu erzählen. «Die Gastronomie hat sich verändert. Heute besteht unsere Rolle auch darin, die Nachhaltigkeit zu fördern, eine menschliche Küche zu kochen und regionale Erzeuger und Handwerker in den Vordergrund zu stellen. Das verleiht unserer Küche einen Mehrwert und macht sie besser. Hinter jedem Gericht, jedem Produkt verbirgt sich eine Geschichte, ein Know-how.» Für den Chefkoch kommt es nicht infrage, in Crans-Montana die gleiche Küche anzubieten wie am Meer. Die Spitzengastronomie muss ihr Terroir, ihre Region widerspiegeln und die lokalen Produkte sublimieren, sie muss sich in ihre Umgebung einfügen.
Wenn er von seinen Produzenten spricht, leuchten seine Augen: «Unser Fischer, der auf dem Murtensee arbeitet, ist ein aussergewöhnlicher Typ, so leidenschaftlich, dass man jedes Mal, wenn er uns den Fisch bringt, ins Staunen gerät. Und die Hirten, die uns die Lämmer liefern, sind buchstäblich in ihre Tiere verliebt, sie wollen sie nicht töten, um sie für irgendetwas zu verwenden. Sie achten darauf, Gäste auszuwählen, die ihnen die Ehre erweisen können.»
So stellt der Chef der Hostellerie du Pas de l’Ours auch seinen eigenen Gin mit Wacholder aus Crans-Montana her und bietet eine Weinkarte an, die zu 75 Prozent aus Walliser Gewächsen besteht. Schliesslich achtet er auch auf die ernährungsphysiologische Qualität seiner Gerichte: «Ich serviere nichts, was ich meinen Kindern nicht geben würde», betont er.
Erfahrungen anbieten, die unbezahlbar sind
Im Winter steigt Franck Reynaud jeden Morgen mit einem Robbenfell an den Füssen zur Cabane des Violettes hinauf. «Ich fühle mich so gut, wenn ich ankomme.» Er bleibt bis zur Mittagsschicht und steigt für die Abendschicht zum Gourmetrestaurant L’Ours hinab. Zweimal pro Woche kommt er im Hotel Aïda vorbei, um mit dem Chefkoch zu sprechen. «Im Aïda ist meine Frau häufiger anwesend als ich.»
Diese Abwechslung ist ihm wichtig: «Bei mehreren Betrieben gibt es immer etwas Unvorhergesehenes. So kann ich der Routine entgehen», erklärt er. Im Sommer besucht er morgens auch die Produzenten. «Ich habe für alle meine Betriebe die gleichen Lieferanten. Das spart mir Zeit, zudem ist die Qualität der Produkte für alle Betriebe gleich wichtig.» Aber das ist nicht der einzige Vorteil. Dank seiner verschiedenen Angebote kann er neue und individuelle Erlebnisse anbieten, ohne auf andere Produzenten angewiesen zu sein. «Ich versuche, allen meinen Gästen einen aussergewöhnlichen Aufenthalt zu bieten. Wenn sie also Interesse an einer bestimmten Aktivität zeigen, bin ich manchmal persönlich involviert. Ich begleite sie zum Beispiel beim Aufstieg mit den Robbenfellen zur Cabane des Violettes oder organisiere ein Raclette mit Kerzenlicht auf der Alp, begleitet von Alphornklängen.»
Erlebnisse anzubieten, die unbezahlbar sind, und jeden Gast mit der Absicht zu empfangen, ihm eine Freude zu machen, das ist das Geheimnis von Franck Reynaud. Und wenn er nicht in der Hütte ist, ist Pierre-Olivier präsent. «Wir führen
Familienbetriebe. Wir empfangen Gäste, die einen menschlichen Empfang wünschen und eine schöne Erfahrung machen wollen.»
Im Lauf der Jahreszeiten
Die Jahreszeiten bestimmen den Tagesablauf des Küchenchefs: Die Hütte ist von Mitte November bis Mitte April und von Anfang Juli bis Anfang September geöffnet. Die Restaurants im Dorf machen im Frühjahr und im Herbst einige Wochen Pause. «Da wir saisonal arbeiten, ist es etwas komplizierter, Personal zu rekrutieren und auszubilden, aber wir haben eine solide Basis. Wir bilden auch Lernende aus, die wegen der Saisonalität unter etwas anderen Bedingungen arbeiten. Übrigens war es ein junger Mann von uns, der die Sendung Futurs Chefs auf Canal 9 gewonnen hat.»
Lernende auszubilden ist für Franck Reynaud ein wichtiges Element, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung anbieten zu können. «Viele grosse Betriebe vergessen, dass sie für die Zukunft der Branche im Bereich Ausbildung entscheidend sind. Und viele Lernende werden in der Gemeinschaftsverpflegung ausgebildet. Ausserdem haben die jungen Leute durch das Internet leichten Zugang zu Informationen, sie kommen manchmal mit viel Technikwissen an, vergessen aber das Würzen. Sie wollen zwar Leistung erbringen, legen aber zu wenig Wert auf das Wesentliche: Freude zu bereiten!»