Anja-Margaretha Moritz, Sie haben sich gemeinsam mit Ihrem Mann Roman entschieden, nur noch Mehrgänger anzubieten und kein À la carte. Wieso?
Anja-Margaretha Moritz: Mehrere Faktoren führten zu diesem Entschluss. Wir stehen dafür ein, unseren Gästen einen genussvollen Abend zu bieten und stellen dazu unsere Menüs vor. Nur ein Gang wird unseren Gedanken zu Slow Food und unseren Gedanken zur Region und Natur nicht gerecht. Wir wollen unseren Gästen Zeit für Kulinarik bieten und damit Momente schaffen, den Alltag für kurze Zeit hinter sich zu lassen.
Und die anderen Faktoren?
Anja-Margaretha Moritz: Im Service mit À la carte verliert ein Gericht aufgrund der Portionengrösse seine Raffinesse. Denken Sie an die Vorspeise mit den Randen! Wäre dieser als À la carte doppelt so gross, hätte das Gericht keine Ästhetik mehr. Nur ein Gericht zu wählen, heisst für uns, sich nicht Zeit zu nehmen, um uns kennenzulernen. In einem solchen Fall geht es meist darum, in kurzer Zeit satt zu werden. Unser Grundgedanke geht so verloren.
Sie haben im Januar 2025 einen Michelin-Stern und einen grünen Michelin erhalten. Welcher bedeutet Ihnen mehr?
Roman Pichler: Für mich sind beide sehr wichtig. Generell muss ein Umdenken stattfinden. Es darf nicht mehr sein, dass wir – koste es, was es wolle – die besten Produkte vom anderen Ende der Welt vor die Haustüre liefern lassen. Wir müssen uns zurückbesinnen, wie es die früheren Generationen machten. Das Essen spielt bei der Gesundheit eine grosse Rolle. Wir müssen die Augen öffnen und probieren. Die Fermentierung beispielsweise ist supergesund und keine Neuerfindung. Sie ist aber mit der Industrialisierung verschwunden. Wir wollen eine ehrliche Küche mit ehrlichen regionalen Lebensmitteln auf höchstem Niveau.
Ihre Gerichte sind gleichermassen innovativ und mit dem Terroir verbunden. Der Spargelgang vom Lavasteingrill, die Lachsforelle mit der besten Vinaigrette meines Lebens und der angesprochene Randengang waren sensationell. Wofür steht die Kärntner Küche eigentlich?
Roman Pichler: Wir versuchen sehr bodenständig zu kochen, verwenden aber auch Produkte aus anderen Bundesländern wie das steirische Kürbiskernöl. Ich bin ja selbst ein Steirer. Das kann ein Wiener Schnitzel vom Lamm mit Kräutermayonnaise oder ein Wildtomatensalat mit Kernöl sein. Ob das nun für Kärnten, die Steiermark oder die Wiener Küche steht, liegt im Auge des Betrachters. Die österreichische Küche hat einen Weltruf, wird aber in der gehobenen Gastronomie viel zu wenig praktiziert.
Wie meinen Sie das?
Roman Pichler: Unser Dorfwirtshaus wird es wohl nie in eine grosse Schweizer Tageszeitung schaffen. Das sind jene, welche die Cuisine alpine praktizieren wie Andreas Döllerer, Vitus Winkler oder Hannes Müller. Es liegt jetzt an uns, den Ball in die Welt hinauszuspielen.
Und was ist nun das Typische der Kärntner Küche?
Roman Pichler: Etwa Kärntner Reindling. Das ist ein Napfkuchen mit Zucker, Rosinen und Nüssen. Oder Kärntner Käsnudeln oder Ritschert mit Rollgerste. Da werden Bohnen und Rollgerste getrennt für rund sechs Stunden in kaltem Wasser eingeweicht und später im Selchrippenfond (geräucherter Rinderrippenfond, Anmerkung der Redaktion) und mit klein geschnittenem Gemüse suppenartig und etwas dicker gekocht. Das ist ein uraltes Rezept mit Zutaten, die jeder Hof hatte. Nun sind wir wieder bei dieser DNA angelangt. Deshalb gab es im Frühling bei uns Ritschert von der Räucherforelle als Amuse bouche.
Sie haben den Betrieb vor über zehn Jahren von den Eltern Ihrer Frau übernommen. Wie hat sich die Kundschaft seither verändert?
Roman Pichler: Sie hat sich irrsinnig gerändert. Unsere Gäste wollen nur beste Qualität und legen Wert, von wo das Produkt kommt. Der Wunsch nach Regionalem steht bei unseren Gästen weit oben. Würde ich Atlantikhummer zubereiten, würde das nicht zu uns passen. Mittlerweile ist es so, dass viele Gäste nach unserem Besuch zu den Produzenten fahren und dort für zu Hause einkaufen.
Zu welchen Produzenten?
Roman Pichler: Beispielsweise zur Familie Nuart, die seit fast 40 Jahren eine Leidenschaft für Käsekunst hat und auch ein wunderbares Joghurt produziert. Der Betrieb war einer der ersten biologischen Landwirtschaften, die Lämmer mit Bewusstsein zur Natur und Respekt aufgezogen hat. Das schmeckt man, wenn man das Fleisch isst.
Wie wichtig ist Saisonalität für Sie?
Roman Pichler: Wir arbeiten mit den Jahreszeiten saisonal und regional. Lamm von den Nuarts gibt es bei uns von Ende Mai bis August. Sonst verlieren die Lebensmittel einen bestimmten Stellenwert, wenn sie ganzjährig verfügbar sind. Anders ist das beim Fisch: Da können wir fast immer auf die Felchen, Hechte oder Zander aus dem Wörthersee von Fischer Maxi Rosenberger zurückgreifen.
Stichwort Süsswasserfisch: Anja-Margaretha Moritz, Ihr Grossvater Primus Moritz war der Erste, der eine Forellenzucht in Kärnten betrieb. Und Ihr Elternhaus war einer der grössten Bauernhöfe in Unterkärnten.
Anja-Margaretha Moritz: Ja, so hat alles angefangen: Die Idee war, ein Gasthaus zu führen, wo sich die Forellen verkaufen lassen. Das war im Juni 1969. Später hat meine Mutter den Betrieb übernommen, ein paar Zimmer angeboten und bis 2009 geführt. Dann haben wir mit anfangs nur 15 Sitzplätzen eröffnet und von Anfang an auf Qualität gesetzt, wobei wir seither keine Zimmer mehr anbieten. Wir wollten selbstständig sein.
Wieso?
Roman Pichler: Ich wollte wissen, ob wir es in der Selbstständigkeit schaffen. Als Küchenchef ist man ansonsten immer Angestellter, selbst wenn man viel Erfolg hat. Die Entscheidungen kann man nie allein treffen – wir hingegen schon.
Anja-Margaretha Moritz: Wir waren zuerst nur ein Vierhändebetrieb: Roman in der Küche und ich im Service. Zum Glück erhielten wir sehr rasch hohen Zuspruch. In einem nächsten Schritt wollten wir ein Lokal, wo die Gäste das ganze Jahr wie in einem Garten sitzen. Das haben wir später mit dem Umbau realisiert. Heute ist diese Art von Betrieb einzigartig in Kärnten. Wir wussten aber, dass wir das nicht bis ins hohe Alter nur zu zweit schaffen. Jetzt haben wir ein kleines, junges und motiviertes Team und arbeiten zu dritt in der Küche und zu zweit im Service. Manchmal unternehmen wir gemeinsame Ausflüge zu den Produzenten.
Das Restaurant Moritz (von Dienstag bis Samstag ab 17 Uhr geöffnet) befindet sich im ländlichen Grafenstein rund 20 Fahrminuten östlich von Klagenfurt. Es bietet mit 25 Sitzplätzen und einem riesigen Garten die ideale Kulisse für die Slow-Food-Philosophie von Küchenchef Roman Pichler (43), der das Restaurant mit seiner Frau Anja-Margaretha Moritz (40) leitet. Sie kümmert sich als Sommelière ums Restaurant und die Getränkebegleitung mit hausgemachten Zutaten. Sohn Moritz Pichler (4) möchte einst «Koch und Kellnerin» werden. Der Guide Michelin hat das moderne Gourmetlokal mit einem Stern und dem grünen Stern dank den Zutaten aus Kärnten ausgezeichnet.