«Das Baratella lebt von seiner Tradition»

Oliver Borner – 21. November 2024
Das Restaurant Baratella ist das «Historische Restaurant des Jahres 2025». Der Betrieb am Rande der St. Galler Altstadt verbindet italienisches Flair und Familientradition mit städtischer Kultur – und hat eine spezielle Vereinbarung mit Studierenden, die über dem Betrieb wohnen. Ein Gespräch mit Pächter und Vollblutgastronom Franco Marchesoni.

Das alles schaffen Sie trotz Sechstagewoche.
Genau. Da ich insgesamt 15 Angestellte beschäftige, lässt sich dies super bewerkstelligen. Hinzu kommt, dass in den Wohnungen über dem Restaurant Studentinnen und Studenten wohnen. Diese müssen im Notfall im Restaurant mithelfen, damit sie überhaupt in den Wohnungen leben dürfen. Es sind keine grossen Pensen. Das hilft uns aber sehr, wenn jemand krankheits- oder unfallshalber ausfällt.

 

Und bindet Sie langfristig wieder an den Betrieb.
Richtig. Zudem ist es eine gute Werbung für uns, wenn unser Konzept nach aussen getragen wird.

 

Kehren wir zum historischen Aspekt des Baratella zurück. Der Betrieb wird oft als «Kronenhalle der Ostschweiz» betitelt. Was sagen Sie zu dieser Bezeichnung?
Ich muss vorausschicken, dass ich auf Drängen eines Gastes bereits einmal in der Kronenhalle war und sehr angetan war von meinem Besuch. Der Vergleich hinkt allerdings ein bisschen, denn ich bin der Ansicht, dass wir nicht in der gleichen Liga spielen – nur schon preislich nicht (lacht). Aber die Herzlichkeit im Service und das Bewusstsein für Tradition und ­gutes Essen kommt in der Kronenhalle genauso rüber, wie es dies – hoffentlich – auch bei uns tut.

 

Gewiss tut es das, sonst blieben die Gäste fern. Ihr Betrieb gilt in der Stadt St. Gallen als eine Institution. Welche Rolle rechnen Sie dem Baratella in der städtischen Gastroszene zu?
(Überlegt) Schwierige Frage. Ich denke, es gibt wohl kaum ein anderes Restaurant in der Stadt St. Gallen, das Kultur und Kulinarik so stark miteinander verbindet, wie es das Baratella tut. Wir gelten als Treffpunkt der Künstlerinnen und Künstler der Stadt und der Region. So waren beispielsweise die beiden Galleristen Franz Larese und Jürg Janett regelmässig bei uns zu Gast. Zudem war der Kunstverein der Stadt mit seinen Vernissagen in unserem Restaurant sehr präsent.

 

Kunst ist ein gutes Stichwort. Seit 1976 gibt es im Baratella Speisekarten, die von Künstlern mit Bildern gestaltet werden. Wie kam es dazu?
Die Idee entstand tatsächlich auf Initiative der Erker-Galeristen Franz Larese und Jürg Janett. Sie wollten diese Kunstaffinität des Restaurants bewahren und Künstlern eine Plattform bieten, um ihre Kunst zu zeigen.

 

Dieses Erbe führen Sie seit der Übernahme des Restaurants 1989 weiter. Alle vier Jahre erscheint eine neue Karte. Warum ist es Ihnen ein Anliegen, das weiterzuführen?
Mich haben die Karten bereits als Kind fasziniert. Das Bild auf der Vorderseite der Karte gibt dem Gast eine besondere Einladung, die Karte zu öffnen. Zudem hat mich die Art und Weise, wie die Karten gedruckt werden, immer schon fasziniert. Die gesamte Karte wird bis heute mit Stindrucken angefertigt. Es ist zwar eine teure Angelegenheit, lohnt sich aber allemal. Wir lassen einzelne Karten von den Künstlerinnen und Künstlern signieren und verkaufen sie. So finanzieren wir uns den Druck der nächsten Karte.

 

Wie läuft der Entscheidungsprozess dafür, wer die neue Karte gestalten darf?
Ich kenne einen Gast, der sehr kunstinteressiert ist und dadurch ein grosses Netzwerk besitzt. Er empfiehlt mir jeweils ein paar Künstlerinnen und Künstler und entscheidet dann mit, wer die neue Karte gestalten darf. In diesem Jahr hat Hans Schweizer, der unter anderem für seine Olma-Plakate bekannt ist, die neue Karte entworfen. Diese wird am 7. Dezember an der Vernissage im Baratella präsentiert.

 

Kunst und Gastronomie verschmelzen im Baratella miteinander. Wie passen diese beiden Komponenten Ihrer Meinung nach zusammen?
Kunst und Gastronomie stehen einander sehr nahe. Allein schon wegen der Vernissagen, die mit Getränken und Mahlzeiten begleitet werden. Daneben treffen sich Künstler inner- und ausserhalb der Galerien oftmals in Gastronomiebetrieben, tauschen sich dort aus und knüpfen Kontakte. Kommt hinzu, dass das Kochen im Endeffekt eine Art von Ausdruck, von Kunst, ist.

 

So wird die Kunst weiterhin im Baratella ihren Platz haben. Wie blicken Sie in die Zukunft des Betriebs?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich bereits vor meiner offiziellen Pensionierung ein Nachfolgeduo für das Baratella gefunden habe. Da ich keine Kinder habe, werden zwei meiner bisherigen Angestellten den Betrieb übernehmen. Dies wird ab dem 1. Januar 2025 der Fall sein.

 

Ist das damit das Ende der Ära der Familie Marchesoni im Baratella?
Nicht ganz. Ich werde weiterhin in der Küche arbeiten und dem Baratella treu bleiben. Mir gefällt die Arbeit in der Küche sehr – und diese Aufgabe möchte ich auch weiterhin in meinem Leben beibehalten.

 

Was wünschen Sie dem Betrieb für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass der Betrieb auch unter der neuen Leitung ein Treffpunkt für alle bleibt und seinen Charme und seine Philosophie nicht verliert.