Eigentlich muss man David Geisser (34) nicht mehr vorstellen. Sein Name ging um die Welt, als der einstige Schweizer Gardist für die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus kochte. Heute ist der Zürcher Oberländer bester Beweis, was mit einer Kochlehre (im Ristorante Il Casale in Wetzikon ZH) alles möglich ist: Er betreibt oberhalb von Uster ZH sein eigenes Kochstudio, ist Autor zahlreicher Kochbücher und ist mit seiner rechten Hand Jean-Claude Molnar in der Sendung «Choche & gnüsse» regelmässig im Regional-TV zu sehen. Geisser ist inzwischen als Unternehmer für rund 20 Personen verantwortlich. Auf seiner Website sind gegen 30 Firmenpartner aufgeführt.
Und trotz den Erfolgen hatte der zielstrebige Macher stets Hunger auf mehr, Lust mit einer Gourmetküche den (Michelin-)Sternehimmel zu erobern. David Geisser erzählt: «Ich erhalte oft Anfragen für ein Spitzenrestaurant. Doch ich suchte nach einem Projekt mit Hand und Fuss. Vor den Sommerferien wurde mir genau so eine Chance offeriert.»
Er rief seinen jüngeren Bruder Benjamin (26) an und teilte mit ihm seine Begeisterung. Benjamin ist ebenfalls gelernter Koch, startete seine Karriere 2017 mit einer Kochlehre im Dolder Grand in Zürich und arbeitete zuletzt bei Felix Gabel im Kai3 im Luxushotel Budersand auf der Nordseeinsel Sylt. Dort hätte er es länger ausgehalten, weil Gabel «der grossartigste Küchenchef ist», den er je hatte, und weil seine Freundin Alicia Krüger (21) im Budersand als Restaurantfachfrau arbeitet. Sie folgt ihm nach dem Abschluss ihrer Ausbildung in die Schweiz.
Der Start erfolgt am 14. Januar mit 28 Plätzen
«Als ich von diesem megacoolen Projekt hörte, bei dem ich meine Kreativität ausleben kann, dachte ich mir, so eine Chance mit einem eigenen Restaurant erhalte ich die nächsten Jahre nicht wieder», sagt Benjamin Geisser. Deshalb brach er seine Zelte auf Sylt ab und ist im Oktober 2024 nach St. Gallen gezogen.
Das Projekt Soleil d’Or by David Geisser in St. Gallen war geboren und wird am 14. Januar 2025 mit 28 Plätzen an den Start gehen. Der Name ist eine Anspielung an die riesige, leuchtende Sonne, die aus einem Spiegel besteht und in Holz gefasst ist, was wie Sonnenstrahlen aussieht. Die Bar, 98 Einmachgläser im Regal und diese Sonne sind das Erste, was Besucher beim Eintritt ins Gourmetlokal sehen. Der moderne Raum mit zwei Stockwerken, vielen Gold- und Brauntönen und Designelementen wirkt edel, nicht zu überladen und mit genügend Abstand zwischen den Tischen.
Das acht Gehminuten vom Bahnhof St. Gallen entfernte Gourmetrestaurant ist jeweils von Dienstag bis Samstag geöffnet. Benjamin ist Chef von sechs Leuten in der Küche, dem erst 20-jährigen Barmanager David Fraundorfer (siehe Kästchen) sowie drei Serviceangestellten. Die Gäste sind ab 17.30 Uhr an der Bar willkommen, ab 18.30 Uhr geht es mit dem Abendservice los. Mittags ist das Restaurant geschlossen.
Benjamin informiert: «Es gibt jeweils nur ein einziges Menü ab vier Gängen. À la carte bieten wir nicht an. Das Fünfgangmenü kostet 198 Franken, die Weinbegleitung 98 Franken für fünf verschiedene Gläser, die alkoholfreie Alternative hat den gleichen Preis. Vegan können wir nicht bieten. Wer aber beispielsweise allergisch auf Fisch ist, erhält statt Fisch von den anderen Komponenten des Gerichts mehr auf den Teller.»
Und er betont: «Ich bin mit 26 der zweitälteste in der Küche. Die meisten sind zwischen 19 und 24 Jahren jung. Ich bin megahappy mit dem Team. Es ist wichtig, dass wir alle unsere Kreativität ausleben können. Jeder lernt eine Handschrift eines Kochs. Für die Jungen ist es aber entscheidend, dass sie sich in der Karte einbringen können.» Es sei schön, wenn ein Koch von sich sagen kann, er habe ein Gericht entwickelt. «So fliesst viel mehr Liebe ins Essen ein», ist Benjamin Geisser überzeugt.
Im talentierten und kreativen Jungkoch schlummerten schon seit acht Jahren Ideen für ein eigenes Konzept und ausgefallene Gerichte. Er dachte an Pralinen mit Lachgas, liess diese Idee dann aber fallen. Ihm sei wichtig, dass die Gäste nicht nur essen und geniessen, sondern intellektuell gefordert werden. «Jan-Philipp Berner vom Söl’ring Hof auf Sylt steht für nordische Küche mit Sylter Regionalitäten, Tim Raue für auf die Fresse asiatisch, wie er sagt. Ich möchte einen anderen Weg gehen und jeweils ein Thema in den Vordergrund stellen, alle zwei bis drei Monate der Saisonalität angepasst.»
Nachhaltigkeit und Regionalität werden, so Geisser, dennoch eine wichtige Rolle spielen. «Meine Produkte sollen möglichst aus der Region stammen, etwa Fleisch von einer St. Galler Metzgerei oder Fisch vom Bodensee.» Oona-Kaviar ist ein Partner, es werde aber auch Austern aus Frankreich geben. Und sein Bruder ergänzt: «Wir streben einen grünen Michelin-Stern an, weil uns Nachhaltigkeit wichtig ist. So sind wir aufgewachsen, so arbeiten wir in unserem Kochstudio.» Schon ihre Eltern hätten ein Biogeschäft geführt, was dazu führte, dass jedes Familienmitglied wusste, von welchen Hühnern die Eier stammten.
Benjamin Geisser weiss glasklar, was er will: Sein erstes Menü im Soleil d’Or macht Grimms Märchen «Der Wolf und die sieben Geisslein» zum Thema. «Jeder Gang von den Snacks über die Amuse-Bouches bis zum Hauptgang ist ein Märchen für sich, etwa mit Gitzi, Schwarzwurzeln und fermentierten Johannisbeeren. Das aktuelle Dessert besteht aus Lebkuchen, Birnen, Kardamom und Vanille und ist Hänsel und Gretel gewidmet.» Der jüngere Bruder kann sich vorstellen, bei der nächsten Menükreation die Schweiz zu thematisieren, weil alle 200 Höhenmeter andere Dinge wachsen. Aber er möchte sich nicht in eine asiatische Ecke oder eine schweizerisch-alpine pressen lassen und betont: «So können wir uns kreativ entfalten.»
Ziel: Zwei Michelin-Sterne
Welche Rolle spielt Unternehmer David Geisser in diesem Vorhaben? «Ich bin Konzeptgeber und verantwortlich, dass es läuft. Mir sind flache Hierarchien wichtig. Benj will ich nicht dreinreden.» Die Konstellation erinnert an Lokale wie Artis by Tristan Brandt oder die Igniv-Betriebe by Andreas Caminada. Die Ambitionen und der Ehrgeiz sind freilich ähnlich hoch, räumt der ältere Geisser-Bruder ein: «Mein Kindheitstraum ist, einst zu den 50 besten Restaurants der Welt zu gehören. Mit diesem Team und dieser Location haben wir eine Chance.» Wird er konkret auf die Michelin-Sterne angesprochen, sagt David Geisser: «Schon ein Stern ist genial. Aber wir möchten uns zwei Sterne als Ziel setzen. Einen dritten Stern zu erreichen, wird sehr schwierig.»
Er ist überzeugt, dass das nur drei Gehminuten entfernte und mit 18 GaultMillau-Punkten und zwei Michelin-Sternen dekorierte Einstein Gourmet motivierend wirkt. Wird die Ostschweiz zur neuen Gourmethochburg der Schweiz? Das Soleil d’Or wäre mit dem Jägerhof und dem Einstein St. Gallens drittes Sternerestaurant.