Wer hätte gedacht, dass aus dem 1951 mit 9 Zimmern eröffneten Kurhotel Mitteltal einst einer der wichtigsten Betriebe in Süddeutschland entsteht, dessen Strahlkraft bis zur Schweiz und darüber hinaus reicht? Heute steht das Hotel Bareiss im schwarzwälderischen Baiersbronn für 350 Mitarbeitende und 230 Betten (Doppelzimmer ab 780 Euro pro Nacht für zwei Personen mit Halbpension), von der Familie Bareiss in der zweiten und dritten Generation geführt.
Genuss auf hohem Niveau
Im Ferienresort ohne Tagungen und Konferenzen, das zu den besten der Welt gehört, wird Genuss zelebriert. Das Angebot des kleinen Imperiums reicht von der Wanderhütte Sattelei mitten im «Baiersbronner Wanderhimmel», einem Wegnetz von 550 Kilometern, bis zum Dreisternerestaurant Bareiss, wo Claus-Peter Lumpp (60) seit über 30 Jahren den Kochlöffel schwingt. Bei ihm arbeitete während zweier Jahre der Schweizer Starkoch Andreas Caminada. Seit drei Jahren heisst Lumpps Souschef Cyril Bettschen, ein weiterer Eidgenosse im Schwarzwald. Zum Imperium gehören unter anderem der zwölf Fahrminuten entfernte Forellenhof Buhlbach mit eigener Fischzuchtanlage sowie die Hotelrestaurants Dorfstuben (regionale Spezialitäten) und Kaminstube. Die Gäste können sich auf der Bareiss-App orientieren.
Und das Hotel sorgt für «Bareissianer»: Bereits 1989 gründete die Luxusherberge einen Verein für eine Eliteausbildung. Die Bareiss-Akademie mit jährlich über 200 Schulungen und Kursen hat Dutzende von talentierten Nachwuchskräften hervorgebracht.
Den Ritterschlag erhält das Hotel Bareiss jeweils am 14. Juli, dem Nationalfeiertag der Franzosen: Rund 350 Gäste aus Frankreich – Strassburg ist nur 60 Kilometer entfernt – zelebrieren ihren Feiertag im Bareiss. Patron Hermann Bareiss (80) gilt als Doyen der deutsch-französischen Gastfreundschaft. GaultMillau zeichnete ihn 2022 zum Gastronomen des Jahres aus.
Lumpp arbeitet vis-à-vis vom Restaurant Bareiss in einer eigenen Küche. Die Hotelküchen für die À-la-carte-Restaurants Dorfstuben und Kaminstube sind getrennt. Der Sternekoch sorgt sich um den eigenen Einkauf und das Lager des Restaurants Bareiss, ist aber Ratgeber und Inspirationsquelle für neue Konzepte im Ferienresort. Wir haben den Schwarzwälder in seinem Restaurant Bareiss zum Interview getroffen.
Claus-Peter Lumpp, alle reden von Regionalität und Saisonalität. Auf Ihrem Degustationsmenü finden sich unter anderem bretonischer Hummer oder Gelbschwanzmakrele. Wieso?
Claus-Peter Lumpp: Regionalität hat ihren Sinn. Im Restaurant Dorfstuben des Hotels Bareiss haben wir aus dem Forellenhof Buhlbach, der auch zu uns gehört, sehr viele regionale Produkte. Im Dreisternerestaurant Bareiss aber gibt es bewusst Spitzenprodukte aus der ganzen Welt, wobei der gebratene Rehrücken aus der Bareiss-Jagd stammt. Produkte wie Hummer oder Kingfish sorgen für den Reiz eines solchen Restaurants, wo es alles gibt, was toll und lecker ist, und das seine Berechtigung in der Spitzengastronomie hat. Bei mir können Sie auch Kaviar geniessen. Das hat zwar nichts mit Kochkunst zu tun, aber die Qualität ist aussergewöhnlich. Und wir schauen, dass wir mit unserer DNA immer etwas Handwerkliches hinzufügen. Wir möchten bei jedem Gericht zeigen, was wir können!
Was ist Ihre DNA?
Der Geschmack steht im Vordergrund. Dann schaue ich mir die Optik an. Wenn Dinge wie Kräuter oder Blüten auf dem Teller liegen, die den Geschmack verfälschen, kommen sie weg. Meine Philosophie: weniger Schnickschnack auf dem Teller, und wenn schon Schnickschnack, dann nur Schnickschnack, der schmeckt – strukturiert, reduziert, intensiv. Die französische Küche bildet die Basis für meine Arbeit.
Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich derzeit konfrontiert?
Wir haben an vier Tagen mittags und abends geöffnet. Jeder Gast kommt mit einer hohen Erwartungshaltung. Diese müssen wir mit unseren qualifizierten Mitarbeitenden immer wieder – also bei jedem Service, mittags und abends – erfüllen. Wir haben im Hotel einen grossen Pool an Mitarbeitenden. Auf dem freien Markt funktioniert die Rekrutierung allerdings nicht mehr so wie früher. Wir stellen nicht nur Mitarbeitende ein, damit die Kopfzahl stimmt. Die Personen müssen auch zu unserem Team passen. Innovationen bringen jedoch nur Köche mit, die Ideen haben.
Wie fliessen diese ein?
Mein Souschef und ich sind die Ideengeber. Entschieden wird immer im Team. Alle haben Mitspracherecht. Trotzdem muss ich einen Rahmen vorgeben (schmunzelt). Ich lasse jedoch kreativ mitgestalten, sodass jeder das Gefühl hat, er gehöre dazu. Ein Restaurant ohne Team funktioniert nicht.
Ihr Team besteht tatsächlich nur aus neun Personen, Sie eingeschlossen?
Ja, das ist wenig. Ich bin hier im Haus angestellt und darf das Restaurant Bareiss führen, als ob es mein eigenes wäre. Und es ist wirtschaftlich erfolgreich.
Wie wichtig ist die Bareiss-Akademie mit ihren jährlich über 200 Schulungen und Kursen in den hauseigenen Aus- und Weiterbildungszentren?
Sehr wichtig. Unsere Auszubildenden dürfen und müssen die Akademie durchlaufen und profitieren von einer fachspezifischen Schulung. Ich ziehe Mitarbeitende aus dem Haus vor, denn diese kennen das Hotel und unsere Philosophie. Sie kennen den Anspruch unserer Gäste. Generell orientiere ich mich bei Bewerbungen weniger an Zeugnissen. Viel wichtiger ist mir, wie jemand rüberkommt. Ich habe nur Teamplayer und keine Solisten.
Wie viele Abgänger der Bareiss-Akademie konnten Sie übernehmen?
Ich mache das nun schon seit 30 Jahren und habe bestimmt schon über 15 Bareissianer eingestellt. Manchmal sind es in einem Jahr zwei, manchmal keine.
Sie erwähnen es: Sie haben schon die Lehre im Bareiss absolviert, hätten eine internationale Karriere anstreben können, sind nun aber seit über 40 Jahren im Bareiss. Weshalb hat Sie der Ruf der Welt nicht gelockt?
Ich war nach meiner Lehre bei der Bundeswehr, dann in Düsseldorf in einem Einsternerestaurant. Das war meine erste Grossstadterfahrung. Ich war jedoch schon immer ein Landmensch. Ich wurde krank und hatte eine Allergie auf Eiweiss und konnte den Beruf dort nicht mehr ausüben. Mir wurde geraten, mich umzuschulen. Ich dachte, ich kehre zurück zu den Wurzeln, wo ich herkomme. Nach drei Monaten war die Allergie weg. Heute bin ich glücklich, dass es so gelaufen ist. Hier in der Region habe ich keine Parkplatzprobleme und bin sofort in der Natur. Wenn ich das Bedürfnis habe, in eine Stadt zu gehen, bin ich in einer Stunde in Karlsruhe, Strassburg oder Stuttgart. Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Land zu arbeiten.
Wo haben Sie am meisten gelernt?
Das Streben nach Erfolg und Präzision haben mir alle Berufskollegen vermittelt. Horst Petermann in Küsnacht ZH war so ein Mentor. Er hat uns in Grund und Boden gekocht, allein die Saucen zubereitet. Waren wir mal schneller als er, war er schlecht gelaunt. Auch Eckart Witzigmann, Alain Ducasse oder Heinz Winkler haben Gerichte zubereitet, die mich dadurch begeisterten, wie intensiv sie sich mit dem Produkt auseinandersetzten.
Wie schätzen Sie die Schweizer Gastronomie ein?
Die ist nicht anders als die europäische. Die hohe Gastronomie ist wie eine grosse Familie. Alle möchten den Gästen ein Erlebnis bieten. Ich bin stolz, dass Andreas Caminada zwei Jahre bei mir war. Dass ich sein Chef sein durfte, ist für mich ein Highlight. Aus meiner Sicht ist er der Vorzeigekoch – unternehmerisch und menschlich, ohne Starallüren. Er kam hierher, bildete sich weiter und hatte immer eine klare Vision, was er anstreben wollte. Er war ein super Skifahrer, Golfer und sieht gut aus. Er sucht sich das Schwierigste aus, ist ein Vollblutkoch von A bis Z. Auch als Unternehmer weiss er genau, was er will, und er unterstützt mit seiner Stiftung Fundaziun Uccelin den Nachwuchs. Das ist schon ein aussergewöhnlicher Werdegang. Ich wusste immer, dass er erfolgreich wird.
Weshalb?
Alles, was Andreas Caminada in die Hand genommen hatte, war super erfolgreich. Seine Zuverlässigkeit, sein Engagement und seine Kreativität zeichnen ihn aus. Das sind Charakterzüge, die wir heute brauchen.
Zurück zu Ihnen: Sie haben seit 2008 einen dritten Michelin-Stern. Einige haben Mühe mit der Herausforderung, diesen zu halten. Wie gehen Sie damit um?
Ich fokussiere nicht darauf. Ich bin mir bewusst, was diese Auszeichnung heisst, und weiss, was ich tagtäglich dafür leisten muss. Ich komme morgens zur Arbeit mit einem motivierten Team. Das ist für mich normale Arbeit. Wenn die Mitarbeitenden wissen, dass wir gute Produkte haben und ein tolles Mise en Place, dann sind sie tiefenentspannt und werden nicht nervös. Mich kann nichts mehr überraschen.
Sie sind 60 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch auf diesem Niveau kochen?
So lange wie möglich und solange ich Freude und die Möglichkeit habe, diesen wunderbaren Beruf auszuüben. Die Frage definiert sich nicht übers Alter, sondern, wie fit ich bin. Ich koche im Team sowieso am wenigsten von allen und bin viel beim Anrichten. Kochen tut das Team. Mit dem jungen Schweizer Cyril Bettschen habe ich seit drei Jahren einen tollen, zuverlässigen Souschef, und er ist mein Stellvertreter. Er arbeitete zuvor in Dubai und wollte in den Schwarzwald ziehen.
Was haben Sie sich für 2025 vorgenommen?
Eigentlich noch gar nichts. Ich bin mit diesem Jahr ja noch nicht fertig. Ich nehme mir jeden Tag vor, ins Restaurant zu gehen und die Gäste zu begrüssen. Dass diese glücklich sind und mit einem Lächeln das Restaurant verlassen, das ist mein tägliches Credo und dieses wird nächstes Jahr nicht anders sein. Ich lebe von Tag zu Tag oder von unserem Mittagsmenü zum Abendmenü. Wenn man über lange Zeit erfolgreich ist, plant man nicht mehr lange voraus, mangeht täglich auf die Situation ein und macht das Beste daraus.
Es gibt einen Trend weg von der Einsterneküche hin zu Brasseriekonzepten. Wie beurteilen Sie das als Dreisternekoch?
Mittlerweile gibt es viele Einsternerestaurants (im neuen Guide Michelin allein in der Schweiz 107, Anmerkung der Redaktion). Vielleicht sind das zu viele. Da kann es schon einmal sein, dass der eine oder andere Betrieb das Konzept wechselt.
«Wir sind die Henker der Fische»
Zum Hotel Bareiss gehört mit der Forellenzucht Buhlbach ein weiterer Betrieb. Hier können die Gäste frischeste Forellen in allen Variationen geniessen. Buhlbach ist zudem Lieferant für die Restaurants des Ferienresorts und andere gastronomische Betriebe.
Als sich Hannes Bareiss, der die dritte Generation des Familienbetriebs stellt, 2017 die Chance zum Kauf der über 100 Jahre alten Fischzucht im Landschaftsschutzgebiet Buhlbach bot, landete er mit dem Kauf einen Volltreffer: Innerhalb von fünf Jahren entstand hier, nur wenige Autominuten vom Hotel Bareiss entfernt, eine der modernsten Aquakulturen und Fischzuchten in Deutschland. Sie gilt inzwischen als Vorläufermodell für eine maximal artgerechte und schonende Aufzucht von Forellen. Am 7. Oktober 2022 erfolgte mit der offiziellen Inbetriebnahme von Bruthaus und Fliesskanälen der Abschluss der Investition, in deren Mittelpunkt Fischwohl, Bioqualität und Nachhaltigkeit stehen.
Was Champagnerflaschen mit Forellen zu tun haben
Nur: Weshalb befindet sich mitten im Schwarzwald ein solcher Betrieb? Das hat historische Gründe, wie Benjamin Thom (40) erzählt: «Bereits 1845 stellte die Familie Böhringer hier über eine Million Champagnerflaschen her und suchte ein frisches Produkt, das zum Champagner passen sollte. So kam sie auf die Regenbogenforelle, die Ende des 18. Jahrhunderts im europäischen Raum etabliert war.» Thom, ein ausgebildeter Koch, ist heute Fischwirt der Forellenzucht Buhlbach.
Die neue Hauptanlage, welche die bereits bestehenden Hälterbecken für schlachtreife Tiere sowie die Naturteichbecken mit Goldforellen für die Gewinnung von Forellenkaviar ergänzt, besteht aus drei Komplexen: dem Bruthaus, den Fliesskanälen für die Aufzucht der heranwachsenden Forellen und einem Technikhaus zur Wiederaufbereitung des hofeigenen Quellwassers.
Die beiden Gebäude für die Brut und die Wasseraufbereitung, die Kopf- und Fussende der Fliessanlage bilden, entsprechen in ihrem Erscheinungsbild einem typischen Schwarzwaldhof. Thom erklärt: «Die Forellen wachsen nach rund acht Monaten im Kanal zu 300 bis 400 Gramm schweren Fischen heran. 12 bis 14 Grad kaltes Wasser ist die perfekte Temperatur für das Wachstum. Wir sind stolz auf unser sauberes Quellwasser aus dem Schwarzwald.»
Das Wasser wird zweimal pro Stunde gefiltert. Den Fischen geht es gut – bis sie geschlachtet werden. «Die Tötung erfolgt durch einen Schlag auf den Kopf. Bei uns passiert alles durch Handarbeit. Wir sind die Henker der Fische», sagt der Fischwirt. Die Küche bestelle die Tiere jeweils für den Folgetag. Das seien rund 1500 Fische pro Woche. «Die Jahresleistung beträgt etwa 30 000 Tonnen oder 75 000 bis 95 000 Forellen, Lachsforellen und Saiblinge.» 75 Prozent werden im Restaurant Forellenhof und für das Hotel Bareiss verkauft, 25 Prozent finden Absatz in anderen gastronomischen Betrieben.
Benjamin Thom mit einer Regenbogenforelle: «Arbeit ohne Liebe geht nicht. Wir stehen hinter unseren Produkten.» (Bild: Reto Wild)
Fisch landet auf regionalen Tellern
Auf der Speisekarte im Restaurant Forellenhof gibt es dann Spezialitäten wie 50 Gramm Forellenkaviar mit Forellenhofbrot und gesalzener Butter zu 20 Euro, Tranchen einer kalt geräucherten Lachsforelle, Rahmmeerrettich und Apfelvinaigrette zu 24,50 Euro oder ein Dreierlei aus der Manufaktur: kalt geräucherte Lachsforelle, Tatar von der geräucherten
Regenbogenforelle und eine heiss geräucherte Lachsforelle.
Geräuchert werden diese alle ebenfalls auf dem Hof. «Die Regenbogenforellen räuchern wir mit Buchholz und geben nur Salz und ganz viel Liebe dazu. Arbeit ohne Liebe geht nicht. Wir stehen hinter unseren Produkten.» Der Vorteil der Forellen: «Die Forelle ist ein einigermassen günstiger Fisch, und in unseren Anlagen ist er nachhaltig mit solch kurzen Transportwegen. Es dauert lediglich maximal zwei Jahre, bis die Tiere heranwachsen.»
Wie oft isst Benjamin Thom Fisch? «So oft, wie es geht. Ich nehme auch immer wieder gerne einen Fisch für meine Familie nach Hause und bereite ihn dort zu.»