Der Nationalrat hat sich am 17. Juni 2025 für einen Vorrang von Mindestlöhnen in allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen vor kantonalen Mindestlöhnen ausgesprochen. Eine breite Allianz von 28 Wirtschafts- und Branchenverbänden begrüsst diesen Entscheid ausdrücklich.
Urs Furrer, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV), sieht dadurch die Sozialpartnerschaft gestärkt: «Kantonale und kommunale Eingriffe bringen die GAV als umfassende Gesamtpakete zunehmend aus dem Gleichgewicht. In der Folge werden Sozialpartner vermehrt auf GAV verzichten. Das würde das Ende der Sozialpartnerschaft einläuten.» Gesamtarbeitsverträge regeln das Arbeitsverhältnis umfassend. Sie enthalten Bestimmungen zu Arbeitszeit, Lohnzuschlägen, Löhnen, Lohnersatz, Weiterbildung, Versicherungsschutz und vieles mehr. Davon profitieren die Arbeitnehmenden.
Beat Imhof, Präsident von GastroSuisse, ergänzt: «Der GAV des Gastgewerbes stellt alle Arbeitnehmenden deutlich besser. Das gilt selbst für jene Unausgebildeten, für die der Branchen-GAV einen tieferen Basis-Mindeststundenlohn als die Kantone Genf und Neuenburg vorsieht.»
Der Entscheid ist verfassungskonform und ermöglicht demokratische Legitimation
Ein Rechtsgutachten von Isabelle Häner zeigt auf, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken der Gegenseite unzutreffend sind. Die Bundesverfassung begründe nach Lehre und Rechtsprechung in diesem arbeitsrechtlichen Bereich eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zugunsten des Bundes. Im vorliegenden Fall werden die Kantone ihre Kompetenz behalten, Mindestlöhne zu erlassen, wo GAV keine Mindestlöhne vorsehen. Der Vorrang setzt keine Volksentscheide ausser Kraft.
Jürg Brechbühl, Präsident von Allpura, präzisiert: «Die Gesetzesvorlage regelt endlich das Verhältnis zwischen sozialpartnerschaftlichen Verträgen und kantonalen Massnahmen und ermöglicht eine demokratische Legitimation. Die Gegenseite hat das Referendum bereits angekündigt. Die Stimmbevölkerung kann sich somit erstmals zum Vorrang äussern.» In den meisten Kantonen mit einem staatlichen Mindestlohn konnte sich die Stimmbevölkerung nie zum Vorrang äussern. Dort, wo sie zwischen einer Variante mit und einer Variante ohne Vorrang wählen konnte, hat sich die Stimmbevölkerung für den Vorrang von ave GAV ausgesprochen.
GAV schützen vor Lohndumping
GAV bieten einen umfassenden Schutz für alle Arbeitnehmenden einer Branche, einschliesslich entsandter Angestellter. Sie fördern das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort». Kantonale Mindestlöhne hingegen gelten nicht für ausserkantonale und ausländische Entsandte. Nur Mindestlöhne in GAV schützen folglich umfassend vor Lohndumping. Der umfassendere Geltungsbereich von AV erklärt auch, weshalb Gewerkschaften im Rahmen der Bilateralen III mehr GAV als zusätzlichen Lohnschutz fordern. Somit anerkennen sie selbst die begrenzte Wirksamkeit kantonaler Mindestlöhne.
In einer Mitteilung schreibt GastroSuisse: «Staatliche Mindestlöhne schaden dem Bildungssystem. Ein Einheitsmindestlohn reduziert den Anreiz, sich aus- und weiterzubilden, da die Bildung weniger lohnrelevant ist. Abgestufte Mindestlöhne in GAV berücksichtigen die Ausbildung, die Berufsart oder die Erfahrung. Solche Branchenmindestlöhne für ausgebildetes Personal liegen deutlich über kantonalen Mindestlöhnen. Ein Vorrang kantonaler Mindestlöhne führt zu einer Nivellierung der Löhne und schadet damit der Berufsbildung.»