Mit 100 Jahren noch Wirtin: «Ich denke nicht ans Aufhören»

Oliver Borner – 19. Juli 2024
Am 19. Juli feiert Alice Rüttimann, Wirtin im Restaurant Bären in Baar ZG, ihren 100. Geburtstag. Bis heute steht sie täglich im Betrieb und denkt nicht ans Aufhören.

In der Schweiz darf sich jede Bürgerin und jeder Bürger mit 65 Jahren pensionieren lassen. Das Arbeiten wird meist reduziert oder ganz eingestellt - normalerweise.

Nicht so bei Alice Rüttimann. Am Freitag feiert die Wirtin vom Restaurant Bären ihren - Achtung - 100. Geburtstag! Und, als wäre das noch nicht beeindruckend genug, arbeitet die Rentnerin noch täglich im Betrieb mit. «Ich mache zwar nicht mehr allzu viel. Antischen, Kaffee rauslassen und am Buffet Getränke herrichten. Aber: Es macht mir nach wie vor sehr viel Freude», sagt sie im Gespräch mit dem GastroJournal.

Ein Leben für die Gastronomie

Alice Rüttimann wurde 1924 als jüngstes von fünf Kindern einer Bauernfamilie geboren. «Nach der Weltwirtschaftskrise kam der Krieg. Beim Ausbruch hatte ich gerade die Schule abgeschlossen. Mein Vater musste ins Militär und ich half fortan zu Hause auf dem Hof», erinnert sie sich. Ans Arbeiten sei sie sich seit Kindsbeinen gewöhnt.

Ihre Gastrokarriere begann dann vor mehr als 70 Jahren. Seit 1950, als sie in den Betrieb eingeheiratet hat, ist der Bären ihr Lebensmittelpunkt. Hier hat sie mit ihrem Mann Josef gelebt, gearbeitet und ihre fünf Kinder grossgezogen. «Mehr habe ich mein ganzes Leben lang nicht gewollt», sagt sie.

Seither habe sich viel verändert, sowohl beim Menü als auch bei den Gästen. «Ein Möschtli kostete damals 30 Rappen, ein Menü zwei Franken», erinnert sich Rüttimann. In der Küche wurde alles noch von Hand gefertigt. Die Gäste seien heute gestresster als früher. Und: «Die Jungen setzen sich weniger hin beim Essen. Take-Away und Bestellessen dominieren.»

Die Gesellschaft macht's

Ursprünglich gehörte der Bären Rüttimanns Schwiegereltern. Als 1970 die Schwiegermutter stirbt, absolviert Rüttimann die Wirteprüfung und leitet fortan den Betrieb. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert, obwohl heute ihr Sohn Josef Rüttimann der «Tätschmeister» ist. Er ist seit 1980 im Betrieb.

Im Bären ist Familie ein grosser Aspekt - auch beim Personal. Eine Serviceangestellte arbeitete 18 Jahre im Betrieb, der Koch, ein ehemaliger Flüchtling, ist seit über 30 Jahren im Betrieb tätig. «Das familiäre Umfeld ist wahrscheinlich der Grund, warum ich noch immer dabei bin», sagt Alice Rüttimann.

Einen grossen Anteil daran haben auch die Gäste - insbesondere die Stammgäste. «Hier habe ich Gesellschaft, das schätze ich sehr», sagt sie und lächelt. Wichtig sind ihr die Senioren-Jassnachmittage, die wöchentlich stattfinden. «Dann setze ich mich oft dazu und gehe meiner Jass-Leidenschaft nach.»

Nachfolge bleibt offen

An diesem Vormittag sitzen ein paar Gäste am Stammtisch, zwischen ihre Gespräche mischt sich das Klirren von Gläsern. Man kennt sich. «Es ist ein Stück Heimat für mich», sagt Rüttimann. Die Stammgäste seien der Grund, dass es den Bären überhaupt noch gebe. Von den 40 Restaurants, die vor rund 50 Jahren in Baar noch existierten, haben die meisten ihre Türen bereits vor langer Zeit geschlossen.

Wie lange es das gemütliche Zusammensitzen im Bären noch geben wird, weiss Alice Rüttimann nicht. «Mein Sohn Josef hat keine Kinder und ist auch schon 75 Jahre alt.» Eine Nachfolge zu finden, werde daher schwierig. Aber: «Solange ich noch fit bin und Freude an der Arbeit habe, machen wir weiter.»

So oder so werde sie den Bären immer in bester Erinnerung behalten, insbesondere die Feste, die gefeiert wurden. «An der Fasnacht oder an meinen runden Geburtstagen war immer etwas los», sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln. Gut möglich, dass dies auch beim 100. Geburtstag der Fall ist.